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Ein stuermischer Retter

Ein stuermischer Retter

Titel: Ein stuermischer Retter
Autoren: Anna Gracie
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hatte sie überhaupt in diesen französischen Dünen zu suchen? Ein missratenes Stelldichein? Das bezweifelte er. Trotz ihrer grotesken Kleidung kam sie ihm nicht wie ein Straßenmädchen vor. Aber was war sie dann?
    Sie klang, als wäre sie von vornehmer Abstammung. Ihre Sprache war frei von jedwedem Dialekt, selbst in Augenblicken größten Entsetzens. Nicks Erfahrung nach fielen alle affektierten Angewohnheiten von den Menschen ab, sobald sie Todesangst verspürten. Also war ihre gewählte Ausdrucksweise etwas ganz Natürliches für sie.
    Allerdings gingen wohlerzogene englische junge Damen nirgendwohin ohne Begleitung, und schon gar nicht trieben sie sich nach Anbruch der Nacht allein in französischen Dünen herum.
    Mit dem Fuß schob er die Gitarre zur Seite, die er bei ihrem ersten Hilferuf fallengelassen hatte, und setzte die Unbekannte auf die Decke am Lagerfeuer. Eine Weile beobachtete er sie, während sie mit zitternden Händen versuchte, ihre Kleidung zu ordnen, ihr Haar nach hinten zu streichen und wieder einigermaßen Haltung anzunehmen. Sie war zierlich und sah ziemlich ramponiert aus. Ihre Nase schälte sich, ihre Haut war fleckig und voller Kratzer, und ihr ganzes Gesicht wirkte irgendwie schief. Durch eine erhebliche Schwellung, wie er bei genauerem Hinsehen feststellte. Ihr Haar war zu einem straffen Knoten zusammengefasst, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten.
    Sie wog nicht viel. Sie ist auch nicht gerade eine Augenweide, dachte er, und wieder wunderte er sich über die Reaktion seines Körpers. Das einzig wirklich Schöne an ihr waren diese großen Augen mit den langen, dunklen Wimpern. Klar wie Quellwasser und jeden einzelnen ihrer Gedanken widerspiegelnd. Es waren Augen, in denen ein Mann sich verlieren konnte - wenn er das denn wollte. Nick hatte nicht vor, sich in den Augen irgendeiner Frau zu verlieren.
    Und dann war da noch ihr Mund. Ihren Mund konnte er kaum ansehen. So weich, so verführerisch, so verletzlich ... Er hatte noch nie einen Mund gesehen, der mehr zum Küssen einlud. Aber auch das hatte er natürlich nicht vor.
    „D...danke. Es tut mir leid, ich wollte nicht ..." Ihre Stimme brach, und Nick bereitete sich im Stillen auf einen hysterischen Anfall vor.
    Sie überraschte ihn damit, dass sie tief durchatmete und sich zusammennahm. Mit bebender Stimme sagte sie: „Es tut mir sehr leid, dass ich Sie in meine Schwierigkeiten mit hineingezogen habe, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir beigestanden haben. Sie waren so mutig und haben so viel aufs Spiel gesetzt für ..."
    „Unsinn", unterbrach er sie schroff. „Ich bin ... war Soldat. Ich habe nichts gegen einen Kampf, und diese drei waren wohl kaum eine ernsthafte Bedrohung." Ihre Unterlippe zitterte. Nick fasste in seine Manteltasche und zog eine kleine Flasche heraus. „Hier, trinken Sie. Das wird Ihre Nerven beruhigen."
    „Aber ich ... "
    „Selbst abgehärtete Soldaten fangen manchmal nach einer Schlacht zu zittern an." Er drückte ihr die flache, silberne Flasche in die Hand. „Widersprechen Sie nicht, trinken Sie."
    Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
    Er verdrehte ungeduldig die Augen. „Ich habe nicht vor, Sie betrunken zu machen, Mädchen! Tun Sie einfach, was ich Ihnen gesagt habe, und trinken Sie einen Schluck oder zwei. Es wird Ihnen guttun. Es beruhigt die Nerven und wärmt Sie auf."
    „Mir ist nicht kalt", widersprach sie, nahm die Flasche aber trotzdem an.
    Er kauerte sich vor sie und griff nach ihrem Rocksaum.
    „Aufhören! Was machen Sie da?", rief sie und versuchte, seine Hand wegzuschieben. Er hielt ihre Hände fest und sah sie streng an. „Seien Sie nicht albern! Wie, zum Teufel, soll ich mir Ihren Knöchel ansehen, wenn ich den Rock nicht etwas anhebe?" Sie bedachte ihn mit einem aufgebrachten Blick. „Warum wollen Sie sich meinen Knöchel ansehen?"
    „Weil er verletzt ist natürlich!"
    Sie sah zweifelnd auf ihren Knöchel. „Er schmerzt tatsächlich, ziemlich stark sogar", gab sie zu und klang dabei fast überrascht.
    Er kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich zu große Angst gehabt hatte, um den Schmerz spüren zu können. Das war nicht ungewöhnlich. Die Leute bemerkten ihre Verletzungen erst, wenn der Kampf vorbei war. Er ließ ihre Hände los und griff nach der Flasche, die sie vor Schreck hatte fallen lassen. „Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen trinken! Das hilft auch gegen die Schmerzen."
    Die Flasche war aus Silber,
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