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Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition)
Autoren: Siobhan Dowd
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Fuß nicht los. Die Straße nach Jerusalem löste sich auf und verschwand aus ihrem Kopf.
    »Setz dich, Shell«, lockte Declan sie. »Setz dich doch und zieh mal an meiner Kippe.«
    Sie ließ sich nieder. Er rückte dicht neben sie und reichte ihr die Kippe. Sie inhalierte und fing an zu husten.
    »Die sind aber verdammt stark«, sagte sie.
    »Von meiner Oma«, erklärte er. »Ich hab ihr ein paar geklaut, als sie gestern Abend da war. Die haben viel Kondensat, ohne Filter. Die Marke mit dem Matrosenkopf auf der Packung.«
    Sie nahm einen zweiten Zug. »Meine Güte!« Sie reichte sie ihm zurück. Er nahm drei lange Züge.
    »Mum sagt, sie sind der Fluch des Teufels persönlich. Nur Seemänner und Huren rauchen so was.«
    »Huren?«, fragte Shell.
    »Du weißt schon. Damen der Nacht.«
    »Damen der Nacht?«
    »Damen, die ihren Körper verkaufen.«
    »Die was?«
    »Du willst mich aus der Reserve locken, Shell Talent. Du weißt genauso gut wie ich, was eine Hure ist.«
    Sie wusste es nicht wirklich, aber eine kleine Ahnung ließ sie sagen: »Meinst du so eine wie Maria Magdalena?«
    »Eine Hure, wie sie im Buche steht.« Declan stieß einen Rauchring aus und sie schauten gemeinsam zu, wie er in den blauen Himmel aufstieg. »Übrigens«, sagte Declan grüblerisch. »Ich hab gerade dieses Buch gelesen, was mein Cousin aus London mir geschenkt hat. Echt ein Schinken. Der Heilige Gral und seine Erben. Nicht nur von einem Gelehrten, nicht von zweien, sondern gleich von dreien. Und weißt du, was sie behaupten?«
    »Was?«
    »Dass Jesus deine spezielle Freundin geheiratet hat, Maria Magdalena.«
    Shells Augen weiteten sich. »Nie im Leben!«
    »O doch. Und dass sie sogar ein Kind hatten.«
    »Ein Kind?«
    »Korrekt. Ein Mädchen. Nachdem dein Freund Jesus den Löffel abgegeben hatte, floh Maria Magdalena mit dem Kind anscheinend nach Übersee. Sie soll in Frankreich gelandet sein.«
    »In Frankreich?«
    »Frankreich.«
    Shell stellte sich vor, wie ein Boot an einem einsamen, weiten Sandstrand anlegte. Maria Magdalena und ihre kleine Tochter kletterten heraus und wateten schweigend durch die sanften Fluten auf die pfeifenden Dünen zu, in ein fremdes Land.
    »Vielleicht ging sie ja nach Norden, zum Fährhafen Roskoff in der Bretagne«, überlegte Declan. »Und hat dann mit der Britanny-Linie nach Cork übergesetzt.«
    Shell schlug nach ihm. »Das erfindest du jetzt!«
    »Nein, im Ernst.« Er reichte ihr die Kippe. Diesmal lehnte sie ab, die heilige Abstinenz von Pater Rose fiel ihr wieder ein. Declan nahm einen weiteren, kurzen Zug. »Also, das mit der Überfahrt nach Irland hab ich erfunden. Aber der Rest steht in dem Buch. Die Autoren behaupten, dass die heilige katholisch-apostolische Kirche die Sache vertuscht hätte. Und dass sie mit den Freimaurern gemeinsame Sache macht.«
    Sie saßen in einhelliger Schweigsamkeit beisammen, Declan rauchte und Shell sann über das geheime Doppelleben Jesu nach. Sie sah ihn in der Zimmererwerkstatt, barfuß, mit seiner kleinen Tochter, die an seinem Gewand zog. Maria Magdalena stand etwas abseits und war gerade dabei, den Brotteig fürs Abendmahl zu kneten. Jesus blickte sie mit seinen durchdringend blauen Augen an. Er nahm einen Hobel, um der Holzplatte den letzten Schliff zu geben, und dabei murmelte er verliebte Worte.
    »Würdest du oder würdest du nicht, Shell Talent?«, fragte Declan plötzlich.
    »Hä?«
    »Das hab ich mich schon die ganze Zeit gefragt.«
    Shell runzelte die Stirn. »Würde ich was?«
    »Na, du weißt schon.« Seine Hand kreiste ein paarmal in der Luft. »Das.«
    »Was denn?«
    »Stehst du auf der Leitung? Ins Feld gehen, Shell. Mit mir. Einen auf Maria Magdalena machen. Dich ausziehen.«
    »Und warum sollte ich das tun, Declan Ronan?«, sagte Shell.
    Er pfiff durch die Zähne. »Damit ich nie mehr sage, dass du stinkst«, neckte er sie.
    »Du bist mir einer!« Sie stand auf und versetzte ihm einen Tritt in den Oberschenkel. Wieder packte er sie am Knöchel. Shell blickte zu ihm hinunter, er war schlaksig und braun gebrannt, hatte einen Lockenkopf und blitzende blaue Augen. Sie stellte sich vor, wie sie zusammen in Duggans Feld lagen, umgeben von Gerstenähren, splitternackt, auf allen vieren kriechend. »Und was für einer!«, fuhr sie ihn an und versuchte ihren Fuß frei zu bekommen.
    »Heißt das ja?« Declans Hand arbeitete sich Stück für Stück ihre Wade hinauf.
    »Nein!«
    »Soll das heißen, nein?«
    »Nein.« Sie schlug seine Hand von ihrem
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