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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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Boden
und freue mich meiner Faulheit.
    Das sind also die Pyrenäen?
Sieh an. Wollen wir nochmal zurück... bis zum Ozean? Es war doch ein weiter
Weg, wie? Wenn ich jetzt ganz grade in die Luft aufstiege, kerzengrade, sagen
wir: tausend Meter hoch — dann sähe ich mit einem Zauberauge alle kleinen
Kirchen in den Bergen. Es waren hübsche alte Gotteshäuser dabei; merkwürdig,
was die Geistlichen damit machen. Immer steht neben den schönsten Schnitzereien
Schund aus dem Fünfzig-Pfennig-Basar — sehen sie das nicht? Nein, sie sehen es
wohl nicht. Was mögen das für Leute sein, diese Geistlichen?
    Einmal, bei St. Girons, saßen
drei in dem Verkehrsmittel, mit dem ich fuhr. Die Mutter dieses Wagens war eine
Kleinbahn, der Vater ein Tourenomnibus. Da saßen sie also und beteten aus ihren
Gebetbüchern. Sie hatten bäurische Gesichter. Und der Landmann verleugnete sich
bei keinem; stand eine Kuh auf den Schienen, wurde eine Gänseherde
vorbeigetrieben, dann ließen sie das Brevier sinken, der Geistliche sank mit,
und zum Fenster hinaus sah ein interessierter Bauer, der die ländlichen Dinge
kannte, sie scharf ins Auge faßte und abschätzte... Und dann beteten sie
wieder. Einer blies die Luft von sich, als er fertig war: Uff! das wäre nun
glücklich überstanden! Aber es sind tüchtige politische Agenten.
    Und junge Geistliche habe ich
gesehen, nein, Küken von Geistlichen, unsicher schwankend in den faltigen
Röcken, unten sahen ein paar riesige Füße hieraus. Es waren noch Jungen, man
konnte sich diese Gesichter ganz gut bei einem Kellner, einem Handwerker, einem
jungen Kaufmann denken... Aber wenn sie ein bißchen älter waren, dann lag auf
dem Gesicht schon eine dünne Patina von Katholizismus: besonders um den Mund
war das andre, etwas, das früher nicht dagewesen war, dieser Mund war wohl viel
gebraucht worden. Und alle fünf Minuten verloren sie ihre Würde, wie man eine
Mütze verliert, und wenn sie das merkten, setzten sie die Würde rasch wieder
auf und sahen sich erschrocken um, ob’s auch keiner gemerkt hätte.
    Die Armen! Werden sie wirklich
niemals erfahren, was Frauenliebe ist —? Der katalanische Bauer sagt: «A oune femme faut
oun homme, soit oun mari, soit oun amant, soit oun directeur de conscience.» Oun heißt ein — und das andre
dürfte wohl verständlich sein.
    Da hinten, in Bourg-Madame,
schreit ein Esel. Der Kerl, der auf gebracht
hat, daß Esel ‹I —a›
schreien, stammt aus der Stadt. Ein Bauer wäre auf solche Dummheit niemals
verfallen. Ein Esel schreit überhaupt nicht — er pumpt. Er hat eine Pumpe im
Hals und zieht / Luft aus einem tiefen Brunnen. «Hüü — bcha... Hüü — bcha...» Vielleicht muß man ihn hinten
am Schwanz ziehen, damit er vorn so jämmerlich s chreit.
    Man konnte den Esel nicht sehen
— der Eisenbahndamm lag davor. Das war eine merkwürdige Eisenbahn. In
Aix-les-Thermes endet die Strecke, die vom Norden, über Foix, kommt; bis
Bourg-Madame an der Grenze gibt es dann nichts mehr. Aber die neue Transpyrenäische
Bahn ist stückweis schon da: da steht ein Tunnel von sieben Kilometern fix und
fertig, die Eisenbahndämme sind aufgeschüttet, die kleinen Brücken über den
Straßen und die Bahnübergänge, alles ist schon gebaut. Sogar die Schranken. Nur
die Schienen lagen damals noch nicht da. Aber das Allermerkwürdigste war, daß
um diese Bahn, die gar nicht vorhanden war, schon: eine Luft lag, wie wenn sie
da wäre: die Straße am Bahnhof sah schon aus wie die Bahnhofstraße, es roch
nach Rauch, die Gegend unmittelbar an den Orten, wo die Schienen einmal
hinkommen sollten, war langweilig.
    Diese Bahn wird die Gegend auf
schließen; daran ist gar kein Zweifel. Auch Andorra wird sein Teil abbekommen,
denn wenn man so bequem nach Hospitalet fahren kann, werden viele Leute die
kleine Republik besuchen. Glückliche Reise —! Und das ganze Land wird in Hotels
ersaufen, denn es ist ein schönes Land, die Berge sind nicht zu hoch und nicht
zu niedrig: es ist grade so etwas für Leute, die sich erholen wollen. Das liegt
heute alles so versteckt... Frankreich stellt sich nicht hin und ruft: Seht!
Wie schön ist es bei mir! Kommt einmal alle hierher! Nein, wenn du die
Schönheit des Landes aufsuchen willst, dann mußt du sie suchen — findest du
sie, ist es gut; findest du sie nicht, ist‘s den Franzosen auch gleich. Aber
das ist ja mit Paris genau dasselbe. Frankreich liegt nicht auf dem
Präsentierteller.
    Es ist ein großes Werk, das da
in den Pyrenäen im
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