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Ein plötzlicher Todesfall

Ein plötzlicher Todesfall

Titel: Ein plötzlicher Todesfall
Autoren: Joanne K. Rowling
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besiegen.
    Zu seiner Mutter sagte er nur laut: »Ja. Okay.«
    III
    Evertree Crescent war eine halbrunde Bungalowanlage aus den 1930er Jahren und lag zwei Minuten von Pagfords Marktplatz entfernt. In Nummer sechsunddreißig saß Shirley Mollison an ihre Kissen gelehnt und trank den Tee, den ihr Mann ihr gebracht hatte. Alles, was sie in den verspiegelten Türen des Einbauschranks erkennen konnte, hatte etwas Verschwommenes. Das lag zum einen daran, dass sie keine Brille trug, zum anderen an den Vorhängen mit dem Rosenmuster, die den Raum in ein sanftes Licht tauchten. In dieser schmeichelhaften Beleuchtung wirkte ihr rosiges Gesicht mit den Grübchen unter den kurzen silbergrauen Haaren puttenhaft.
    Das Schlafzimmer war gerade groß genug für Shirleys Einzel- und Howards Doppelbett, zusammengeschoben, ohne zueinander zu passen. Howards Matratze, die noch deutliche Spuren seines schweren Körpers aufwies, war leer. Shirley lauschte dem sanften Rauschen der Dusche, betrachtete ihr rosiges Spiegelbild und kostete die Nachricht aus, die nach wie vor die Luft belebte wie perlender Champagner.
    Barry Fairbrother war tot. Ausgelöscht. Umgehauen. Kein Ereignis von nationaler Bedeutung, kein Krieg, kein Börsenkrach, kein Terroranschlag hätte in Shirley diese Ehrfurcht, dieses leidenschaftliche Interesse und die fieberhaften Spekulationen auslösen können, die sie momentan verzehrten.
    Sie hatte Barry Fairbrother gehasst. Shirley und ihr Mann, für gewöhnlich bei all ihren Freundschaften und Feindschaften einer Meinung, waren sich in diesem Fall nie ganz einig geworden. Howard hatte gelegentlich zugegeben, den bärtigen kleinen Mann amüsant zu finden, der sich ihm über die abgestoßenen Tische im Gemeindesaal von Pagford hinweg so unbarmherzig entgegenstellte, doch Shirley machte keinen Unterschied zwischen Politischem und Privatem. Barry hatte gegen das Anliegen opponiert, das Howard mehr als alles andere am Herzen lag, und damit hatte Barry Fairbrother sich Shirley zur erbitterten Feindin gemacht.
    Loyalität gegenüber ihrem Mann war der Hauptgrund für Shirleys tiefe Abneigung, wenn auch nicht der einzige. Ihre Menschenkenntnis war nur auf eines ausgerichtet, wie bei einem Hund, der darauf dressiert war, Drogen zu erschnüffeln. Ständig glaubte sie Herablassung zu wittern, und deren üblen Geruch hatte sie schon vor langem in den Ansichten von Barry Fairbrother und seinen Kumpanen im Gemeinderat wahrgenommen. Die Fairbrothers dieser Welt bildeten sich ein, ihr Universitätsstudium mache sie zu besseren Menschen als sie und Howard, und ihre Ansichten seien gewichtiger. Tja, ihre Arroganz hatte an diesem Tag einen Dämpfer bekommen. Fairbrothers plötzlicher Tod bestärkte Shirley in ihrer festen Überzeugung, dass Barry, was auch immer er und seine Anhänger geglaubt haben mochten, in jeder Hinsicht minderwertiger war als ihr Mann, der es immerhin, zusätzlich zu all seinen anderen Vorzügen, schon vor sieben Jahren geschafft hatte, einen Herzinfarkt zu überleben.
    (Keine Sekunde lang hatte Shirley geglaubt, dass ihr Howard sterben würde, selbst als er im Operationssaal lag. Howards Anwesenheit auf Erden war für Shirley eine Selbstverständlichkeit, wie Sonnenlicht und Atemluft. Das hatte sie auch hinterher gesagt, als Freunde und Nachbarn darüber sprachen, auf welch wunderbare Weise er davongekommen war, und wie glücklich sie sich alle schätzen konnten, im nahen Yarvil eine kardiologische Station zu haben, und wie schrecklich besorgt Shirley gewesen sein musste.
    Â»Ich wusste immer, dass er durchkommen wird«, hatte Shirley gesagt, völlig ruhig und gelassen. »Daran habe ich nie gezweifelt.«
    Und hier war er, munter wie eh und je; und dort war Fairbrother, im Leichenschauhaus. Tja, da konnte man mal wieder sehen.)
    Das Hochgefühl des heutigen Morgens erinnerte Shirley an den Tag nach der Geburt ihres Sohnes Miles. Auch da hatte sie ans Kissen gelehnt im Bett gesessen, genau wie jetzt, mit der Sonne, die durch das Fenster der Entbindungsstation schien, einer Tasse Tee in den Händen, die ihr jemand zubereitet hatte, während sie darauf wartete, dass man ihr den wunderschönen neuen Sohn zum Stillen brachte. Geburt und Tod: Beides verlieh dem Leben und ihrer eigenen Bedeutung einen höheren Wert. Die Nachricht von Barry Fairbrothers Ableben lag in ihrem Schoß wie ein neugeborenes Baby, und all ihre
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