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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben
Autoren: Hans Fallada
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Der Draht is wieder jerissen!«
    Diesmal brachte der Schaffner den Lokomotivführer mit. Aber er beachtete Rieke Busch gar nicht. Der Lokomotivführer sagte: »Wir müssen einfach die Luft abstellen, Franz!« Und sie machten sich daran, die Preßluftschläuche am Waggon zu lösen. Die beiden – und viele andere lachende, spöttische und empörte Gesichter – sahen dem Werk interessiert zu.
    Als die Männer aber wieder zur Lokomotive gehen wollten, rief Rieke Busch: »Du, Franz, hör mal her!« Unwillkürlich blieb der Schaffner stehen, wütend starrte er das Mädchen an. »Wenn ick du wäre«, sagte sie mit ehrlichem Nachdruck, »ick täte mir entschuldigen – wat meenste?«
    Auf dem Gesicht des schwärzlichen Schaffners kämpfte Zorn mit Lachen. Aber das Lachen gewann doch die Oberhand. »Du Aas, du!« sagte er. »Du kleines Berliner Aas mit so ’ner süßen Schnauze! Wenn du meine Tochter wärst!«
    »Und du mein Vata!« lachte sie mit Überzeugung. »Du tätest was erleben!«
    »Na, gib mir ’nen Süßen«, sagte der Schaffner, »bist ja noch ein Kind!«
    Sie gab ihm ungeniert aus dem Abteilfenster einen Kuß. »Und nu mach een bißchen Dampf, Franz«, sagte sie. »Det wa noch rechtzeitig nach Prenzlau kommen! Und da hilfste mir bei die Körbe, vastanden? Det biste mir schuldig, Franz!«
    Der Zug fuhr schon wieder, da sagte sie zu Karl Siebrecht: »Du, der sollte mein Mann sind! Der sollte aber een richtijer Mann werden, nich so’n Teekessel! Aber die meisten Frauen sind dumm. Nich so dumm wie die Männer, aber anders dumm, eben mit die Männer! – Und wat fängste nu in Berlin an, Karl?«

5. Auf der Reise

    Sie hatten wirklich ihren Anschluß in Prenzlau nicht mehr erreicht, was niemand mehr bedauert hatte als der so freundlich gewordene Schaffner Franz. Aber tu etwas gegen eine wild gewordene Notbremse!
    Trotzdem sie nun drei Stunden in Prenzlau auf dem Bahnhof sitzen mußten und trotzdem Tilda den beiden das Leben durch ewiges Plärren nicht leichter machte, wurde Karl Siebrecht die Zeit nicht lang. Und was die Rieke Busch anging, so schien es bei diesem Mädchen keine leeren Minuten zu geben, immer war sie quicklebendig, voller Interesse für alles. Immer flitzten ihre hellen Augen umher, mit jedem wußte sie gleich auf du und du zu kommen. Im kleinen Heimatstädtchen hätte sich Karl Siebrecht nur ungern mit einem so grotesk angezogenen, derart schnellzüngigen Mädchen öffentlich sehen lassen. In der großen Stadt Prenzlau saß er bei ihr im Wartesaalzweimal Zweiter, als gehörte er dazu, half ihr die Tilda beruhigen und lauschte mit unermüdeter Aufmerksamkeit ihrem Gerede. Aber Rieke Busch konnte nicht nur reden, sie konnte auch fragen, und nur schwer war ihren bohrenden Fragen zu widerstehen. Und Karl Siebrecht wollte gar nicht widerstehen, gerne erzählte er diesem – er hatte es nun erfahren – fast vierzehnjährigen Dingelchen von der abgeschlossenen Vergangenheit und von seinen großen Plänen für die Zukunft. Niemand schien ihm fähiger, zu raten, als dieses Kind mit seinem Mutterwitz, seinem nüchternen Lebensverstand, seiner Tüchtigkeit. Was er erst erreichen wollte, sich selbst ernähren, das hatte Rieke schon geschafft. Und sie ernährte nicht nur sich selbst, sondern die Schwester Tilda dazu und fütterte auch oft noch den blaumachenden Vater. Waren Karls Hoffnungen für die Zukunft aber noch reichlich vage, so hatte sie da ganz bestimmte Pläne, und sie war die Person dazu, sie durchzusetzen.
    »Ick muß nur wachsen«, sagte Rieke Busch. »Noch zwanzig Zentimeter, denn kann ick mit Waschbalje und Waschbrett hantieren, ohne ’ne Kiste unterzusetzen, und denn nehm ick Waschstellen an. Da vadien ick mehr Geld, jetz mach ick bloß Halbtagsmädchen – von wejen Schule –, det klappert nich so! Aba Wäsche kann ick, alle Tage ’nen Taler und denn die Stullen, da mach ick uns dreie von satt. Und denn spar ick! Uff wat spar ick? Uff ’ne Nähmaschine, und denn leg ich mir uff die Schneiderei, damit wird Jeld vadient. Arbeet? Arbeet jenug, det wirste selba bald sehen, bloß genieren mußte dir nich, aussuchen is nich. Und deine feinen Hände – na, det weeßte selba, die werden wohl nich lange fein bleiben!«
    »Ich hätte gerne was mit Autos zu tun«, sagte Karl Siebrecht.
    »Siehste!« antwortete sie, und ihre Augen funkelten vor Spott. »Det lieb ick! Schon willste dir die Arbeet aussuchen! Erst nimm, wat de kriegst! Und wenn’s Kinderwagenschieben is – Auto kommt denn von
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