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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition)
Autoren: Leon de Winter
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Straßencafés sah er junge Frauen mit nackten Schultern, langbeinig, prachtvoll, aber unsicher. Breitschultrige junge Männer mit prallem Bizeps, Sonnenbrille im glänzenden Haar, spielten lässig mit dem Schlüssel ihres Porsche oder Ferrari. Die Läden am Strip führten die allerteuerste Markenkleidung und schienen trotzdem guten Zulauf zu haben. Früher hatte Kohn sich genauso produziert wie die coolen Statisten auf der Glitzerbühne des Strip. Cool war in. Bloß keine Regungen zeigen. Demonstratives Gelangweiltsein machte größeren Eindruck als Neugierde oder Leidenschaft. Max Kohn kannte das alles zur Genüge.
    Auch er war cool gewesen, hatte Clubs oder Restaurants früher mit nahezu unbewegter Miene betreten und zusätzlichen Eindruck mit seiner Entourage gemacht, zwei oder drei raubkatzenhaften Riesen aus Russland oder Serbien. Heute betete Kohn jeden Morgen die Sonne an.
    Sobald es hell wurde, stand er auf und lauschte draußen auf der Terrasse, die Hunde um sich herum, eine Tasse grünen Tee und ein aufgeladenes iPad vor sich, den Vögeln, die auch in diesem Klima der Sonne ein Willkommenslied sangen. Er las die Online-Zeitungen, auch die niederländischen, und ein paar wissenschaftliche Sites, die für ihn verständlich waren.
    Die Fahrt vom Strip nach South Central dauerte vierzig Minuten. Der Taxifahrer war ein Schwarzer, der die Rituale von South Central kannte.
    Kohn wusste, in was für eine Gegend er da fuhr, aber er hatte sich trotzdem förmlich gekleidet, mit dunkelblauem Anzug, weißem Oberhemd und dunkelroter Krawatte. Keine Manschettenknöpfe. Keine Ringe. Selbst in seiner allercoolsten Zeit hatte er keinen Schmuck getragen, keine Tätowierungen, keine Piercings. Er war ein Geschäftsmann gewesen, der ein legales Seximperium mit hundert Mitarbeitern lenkte. Auch wenn die Haupteinnahmequelle Sex oder die Verheißung von Sex war, musste man strenge Regeln befolgen. Keine Drogenabhängigen, keine Alkoholiker einstellen. Seine Rausschmeißer, Türsteher und Bodyguards heuerte er aus osteuropäischen Bodybuildern an, die durch die Bank loyal waren und kein Pardon kannten. Kohn herrschte auf strikt kapitalistischer Basis. Er bevorzugte niemanden, die Mädchen rührte er nicht an. In Vegas hatte er Hunderte von Bekannten, aber keine Freunde – die hatte er in den Niederlanden auch nicht gehabt, bis auf einen einzigen, einen treuen Adjutanten.
    Er hatte sich gefragt, ob er der Familie Davis etwas mitbringen sollte, eine Schachtel Pralinen oder einen Strauß Blumen, doch alles, was er hätte aufbieten können, wäre im Vergleich zu dem, was ihm geschenkt worden war, lächerlich wenig gewesen. Er hatte einen Scheck bei sich, auf dem er eine beliebige Summe eintragen konnte, wenn er den Eindruck gewann, dass die Familie Hilfe benötigte. Die Wahrscheinlichkeit war groß, sie lebten in South Central, einer der ärmsten Wohngegenden Kaliforniens.
    Sie überquerten den Interstate 10, den Highway, der sich von Santa Monica quer durch den Süden der USA bis hinüber zur Ostküste erstreckte. Seine Gesamtlänge betrug dreitausendneunhundertneunundfünfzig Kilometer, wie Kohn irgendwo gelesen hatte. Es gab drei Highways, die noch länger waren. Südlich vom Interstate 10 nahm die Verelendung zu. Sie fuhren auf dem Crenshaw Boulevard – auch nördlich vom Highway schon nicht mehr als eine ausgefahrene, überlastete Durchgangsstraße – zu einem Distrikt, der The Jungle genannt wurde. Die dortigen Apartmenthäuser hatten früher einmal inmitten einer atemberaubenden tropischen Vegetation gestanden, umgeben von wohlriechenden Gärten mit Bananenpalmen, Avocado- und Feigenbäumen. Das war alles gefällt worden, und dieses Viertel südwestlich des Baldwin Hills Crenshaw Plaza war jetzt eines der gewalttätigsten der Stadt, seit die Black P. Stones ihr Unwesen trieben, eine ursprünglich in Chicago beheimatete Gang, die hier eine Niederlassung eingerichtet hatte. Berufsverbrecher und Kleinkriminelle hatten in Vegas zu Kohns Kundenkreis gehört, und wie man die zur Räson brachte, wenn sie die Ordnung zu stören drohten, wusste er, doch den Gangs von South Central brauchte man mit Vernunft nicht zu kommen. Ehre und Respekt, darum ging es ihnen. Kohn hatte keine andere Wahl. Er musste diese Gegend aufsuchen, dazu nötigten auch ihn Ehre und Respekt.
    Sie verließen den Crenshaw Boulevard und fuhren durch eine ärmlich anmutende Seitenstraße mit niedrigen Holzhäusern, deren Fenster vergittert waren und deren Anstrich
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