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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr
Autoren: Jojo Moyes
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Patrick.
    «Daran bist du schuld, also wirklich», sagte Mum und sah anklagend von Dad zu Thomas. Mit diesem Blick hätte sie auch ein Steak schneiden können. «Bringst ihm diese unanständigen Wörter bei.»
    «Nein. Ich weiß nicht, woher er die hat.»
    «Scheißer», sagte Thomas, den Blick fest auf seinen Großvater gerichtet.
    Treena verzog das Gesicht. «Ich glaube, ich würde mich total gruseln, wenn er mit einem von diesen Kehlkopfgeräten spricht. Stell dir mal vor: Holen-Sie-mir-ein-Glas-Wasser », ahmte sie nach.
    Treena war intelligent – aber nicht intelligent genug, um sich nicht schwängern zu lassen, wie Dad gelegentlich vor sich hin murmelte. Sie war das erste Mitglied unserer Familie gewesen, das an die Universität gegangen war, bis Thomas dafür gesorgt hatte, dass sie im Abschlussjahr ihr Studium abbrechen musste. Mum und Dad hofften immer noch, dass sie eines Tages ein Heidengeld für die Familie verdienen wird. Oder bei einer Firma arbeiten, wo der Empfangsbereich nicht mit Überwachungskameras gesichert war. Sie wären mit beidem zufrieden.
    «Seit wann muss man denn wie ein Außerirdischer sprechen, wenn man im Rollstuhl sitzt?», sagte ich.
    «Und du wirst richtig eng mit ihm zu tun haben. Zumindest musst du ihm den Mund abwischen und ihm was zu trinken geben und so.»
    «Na und? Das ist ja wohl keine Quantenphysik.»
    «Sagt die Frau, die Thomas die Windel immer falsch rum angezogen hat.»
    «Ein einziges Mal.»
    «Zweimal. Und du hast ihm nur dreimal die Windel gewechselt.»
    Ich nahm mir von den grünen Bohnen und versuchte zuversichtlicher zu erscheinen, als ich es war.
    Aber schon bei der Busfahrt nach Hause waren mir genau solche Fragen durch den Kopf gegangen. Worüber würden wir reden? Was war, wenn er den ganzen Tag bloß kraftlos mit dem Kopf wackeln und mich anstarren würde? Würde ich mich gruseln? Und was war, wenn ich nicht verstand, was er wollte? Ich war sagenhaft unfähig, wenn es darum ging, mich um etwas zu kümmern. Wir hatten keine Zimmerpflanzen mehr im Haus und Tiere auch nicht, nach den Vorfällen mit dem Hamster, den Stabheuschrecken und Randolph, dem Goldfisch. Und wie viel würde ich mit dieser stocksteifen Mutter zu tun haben? Die Vorstellung, den ganzen Tag unter Beobachtung zu stehen, gefiel mir überhaupt nicht. Mrs. Traynor kam mir wie genau die Sorte Frau vor, unter deren Blick sich die geschicktesten Hände in tollpatschige Pranken verwandelten.
    «Und was hältst du von der Sache, Patrick?»
    Patrick trank einen Schluck Wasser und zuckte mit den Schultern.
    Draußen trommelte der Regen so laut gegen die Fenster, dass er noch über das Besteckgeklapper zu hören war.
    «Es ist gutes Geld, Bernard. Und besser als Nachtschicht in der Hühnerfabrik ist es auf jeden Fall.»
    Auf diese Bemerkung folgte zustimmendes Gemurmel rund um den Tisch.
    «Echt, das will ja was heißen, wenn euch nichts Besseres über meinen neuen Job einfällt, als zu sagen, er ist besser, als in einer Monsterfabrikhalle Hühnerkadaver aufs Förderband zu werfen», sagte ich.
    «Na ja, du kannst dich ja immer noch in Form bringen und mit Patrick als Fitnesstrainerin arbeiten.»
    «In Form bringen. Vielen Dank auch, Dad.» Ich hatte mir gerade noch eine Kartoffel nehmen wollen, aber jetzt überlegte ich es mir anders.
    «Na ja, warum nicht?» Mum sah so aus, als könnte sie sich tatsächlich gleich hinsetzen, und alle hielten inne. Aber nein, da war sie schon wieder bei Großvater, um ihm etwas Bratensoße auf den Teller zu geben. «Vielleicht wär das ja was? Du hast immerhin ein Talent, dich auszudrücken.»
    «Sie hat ein Talent, Speck anzusetzen.» Dad prustete los.
    «Ich habe gerade einen Job gefunden», sagte ich. «Und er ist außerdem besser bezahlt als der letzte, falls ihr das mal zur Kenntnis nehmen wollt.»
    «Aber er ist befristet», warf Patrick ein. «Dein Dad hat recht. Du könntest währenddessen wirklich was für deine Fitness tun. Du könntest eine gute Trainerin werden, wenn du dich ein bisschen anstrengst.»
    «Ich will aber keine Fitnesstrainerin werden. Ich stehe nicht auf all das … Rumgehopse.» Ich blitzte Patrick böse an, aber er grinste bloß.
    «Was Lou will, ist ein Job, bei dem sie die Füße hochlegen und fernsehen kann, während sie nebenbei ihrem Arbeitgeber seine Flüssignahrung per Strohhalm serviert», sagte Treena.
    «Ja, genau. Wohingegen schlaffe Dahlien in Wassereimern zu arrangieren ja so viel körperliche und geistige Anstrengung
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