Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Autoren: Jörg Isringhaus
Vom Netzwerk:
Maus verschwunden. Aber er hatte es ja nicht anders gewollt. Hatte sich möglichst weit weg gewünscht von zu Hause, in den hinterletzten Winkel der Welt. Dorthin, wohin ihm keiner folgen würde. Bis sich niemand mehr interessierte für ihn und das, was er getan hatte.
    Hansen schauderte. Selbst wenn er andere zu täuschen vermochte, vor sich selbst konnte er nicht weglaufen. Auch hier, im brasilianischen Nirgendwo, trug er seine Taten mit sich herum. Wenigstens ahnte keiner seiner sogenannten Kameraden etwas von seinem Geheimnis. Ein Luftloch holte Hansen unsanft zurück in die Gegenwart. Wie er dieses Gerumpel hasste.Eingesperrt zu sein in diese klapprige Apparatur aus Holz, Draht und Metall, den Naturgewalten und einem Möchtegernpiloten ausgeliefert, in ständiger Angst vor einem Absturz. Heute steuerte Schulz-Kampfhenkel die Maschine, und ihm traute er weit weniger zu als Kahle, dem erfahrenen Kampfflieger. Schulz-Kampfhenkel war ein aufgeblasener Schnösel, ein Großmaul. Aber Hansen hütete sich davor, seine Meinung offen kundzutun. Ohne Schulz-Kampfhenkel wäre er nicht hier, hätte er nie die Gelegenheit bekommen, sich in diesem vergessenen Flecken des Planeten zu verkriechen. Hansens Gedanken schweiften ab, und er ließ es zu, weil die Erinnerungen an die Heimat ihm halfen, die Realität auszublenden.
    Otto und er kannten sich aus gemeinsamen Berliner Schultagen. Stundenlang waren sie im Sommer durch die Wälder gestreift, hatten Frösche, Eidechsen und Insekten gesammelt, zwei Entdecker auf hochwissenschaftlicher Mission. Wobei Hansen eher an Otto als an der heimischen Fauna interessiert war; sein Mitschüler stammte aus wohlhabendem Haus, Hansen aus einer Arbeiterfamilie. Spinnen und Schaben kannte er zur Genüge aus den eigenen vier Wänden. Dem Getier in der Natur nachzustellen hielt Hansen für Zeitverschwendung. Aber er nahm es in Kauf, um der Tristesse seines Zuhauses zu entfliehen. In Buckow, auf dem opulenten Landsitz der Schulz-Kampfhenkels, durften sie sogar Kaninchen und manchmal ein Eichhörnchen schießen. Hansen hatte eine sichere Hand und ein gutes Auge; Ottos Vater bescheinigte ihm ein angeborenes Talent als Jäger und empfahl ihm, sich als Scharfschütze bei der Armee ausbilden zu lassen. Für Heinrich Hansen war es das Paradies, er wollte immer so weiterleben. Zwei Sommer lang blieben die beiden Jungen unzertrennlich. Bis Hansen Otto vor einem schlimmen Zusammenstoß bewahrte.
    Es war ein regnerischer, verhangener Tag, die Sicht schlecht und der Boden matschig. Ein Graus für Spaziergänger, aber ideal, um Tiere aufzustöbern. Schulz-Kampfhenkel war wie immer beflissen bei der Sache, schaute in jeden Busch und unter jeden Stein. Hansen stand meist untätig herum, heuchelte angestrengt Interesse und glotzte, wenn sein Kamerad ihm den Rücken zuwandte, gelangweilt in der Gegend herum. Deshalb sah er die Wildsau zuerst. Sie kam wie aus dem Nichts auf sie zugaloppiert, den hässlichen Kopf angriffslustig gesenkt, die Schweinsaugen glotzten entschlossen. Hansen handelte instinktiv und stieß Schulz-Kampfhenkel aus der Bahn des tobenden Borstenviehs. Im gleichen Moment flog er selbst durch die Luft. Die Sau hatte ihn frontal überrannt. Hansen wusste, dass das Tier ihn übel erwischt haben musste, das sagte ihm der Schmerz in seinen Beinen. Tatsächlich hatten ihm die scharfen Hauer des Wildschweins das Fleisch aufgerissen.
    Schulz-Kampfhenkel kümmerte sich sofort um ihn, versorgte notdürftig die Wunden seines Freundes, nicht ohne ständig nervös Ausschau zu halten nach der wütenden Sau. Aber das Vieh war nach dem Angriff verschwunden, zufrieden mit dem Respekt, den es sich verschafft hatte. Hansen war dem Tier fast dankbar. Es schien, als würden die bevorstehenden Lobpreisungen seiner Taten die ihm zugefügten Wunden um ein Vielfaches überwiegen. Hatte er dem jungen Otto doch viel Leid erspart, wenn nicht sogar das Leben gerettet. Heinrich Hansen war auf dem besten Weg, das ihm vorgezeichnete Schicksal eines Arbeiterjungen abzuwenden und ins Großbürgertum aufzusteigen, protegiert von der Fabrikantenfamilie Schulz-Kampfhenkel. Wunderbar rosig malte er sich seine Zukunft aus, doch sein Vater sah die Sache anders. Er verbot ihm die Streifzüge mit Otto, schimpfte auf dessen nachlässige Eltern, die ihre Kinder ohne Aufsicht unwägbaren Gefahren aussetzten. Alles Bitten und Flehen half nichts, Hansens Vaterblieb hart. Vielleicht hätte er irgendwann dem Drängen des Patriarchen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher