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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Autoren: Jörg Isringhaus
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seinem Bewusstsein zu lichten. Aber es fiel ihm schwer, etwas wahrzunehmen, sowohl mit seinen Augen als auch mit seinem Verstand. Träumte er? Nein. Er hatte geträumt, gerade eben, einen schrecklichen Traum, in dem sein Bruder ihn lebendig begrub. Edgar. Sein Bruder Edgar. Krauss schluckte, sein Hals brannte wie Feuer.
    Edgar war der Tote, nicht er. Jetzt war alles wieder da. Der See, die Badeinsel, Hannas Waffe, die er trocken durchs Wasser brachte, um sie Edgar an den Kopf zu setzen. Die Waffe, mit der Edgar Hanna erst gefoltert und dann getötet hatte. Krauss entwich ein Seufzer. Er hatte Edgar getötet, ihm in die Stirn geschossen, seine Augen brechen sehen. Gewartet, bis der Körper seines toten Bruders wegsackte, haltlos auf die Planken schlug, nur noch Hülle war. Er hatte sich diesen einen Moment der Genugtuung gegönnt, den Triumph seiner gepeinigten Seele, aber nichts anderes gespürt als eine entsetzliche Leere. Bevor er sich selbst erlösen konnte, trafen ihn die vom Ufer abgefeuerten Kugeln. Von da an wollte sein Gedächtnis nichts mehr preisgeben. Er erinnerte sich nicht einmal mehr an die Zahl der Einschläge. Alles war wie ausgelöscht. Genau so hatte er es sich gewünscht, nur für immer. Die Gnade ewiger Dunkelheit, das Auflösen im Nichts. Und nun das.
    Er war zurück im Licht, im Leben, aber er wusste nicht,warum. Wusste überhaupt nichts. Weder, wo er war, noch, wie man ihn hergebracht hatte. Krauss zwinkerte, versuchte sich zu konzentrieren, die Bilder auf seiner Netzhaut zu verstehen. Er lag nicht in einem Grab, sondern in einem schmalen, hohen Raum, vielleicht einen halben Meter breiter als sein Bett. Wände und Decke waren weiß. Wenn er mehr erfahren wollte, musste er seinen Kopf bewegen. Vorsichtig drehte er ihn nach links. Es funktionierte, wenn auch unter Schmerzen. Neben ihm hing ein Infusionsbeutel mit einer klaren Flüssigkeit an einem Ständer. Ein Schlauch führte von dem Beutel in Richtung seines linken Armes. Er war in einem Krankenhaus. Die Schweine hatten ihn gerettet. Aber das ergab keinen Sinn. Warum sollten sie das tun? Um ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen? Wollten sie den Aufenthaltsort des Jungen aus ihm herauspressen? Dann hätte Göring seine Finger mit im Spiel haben müssen. Edgars Männer waren nur darauf aus, ihn zu töten, nachdem er ihren Anführer erschossen hatte. Sie hätten ihr einmal begonnenes Werk an ihm vollendet. Krauss verstand es nicht.
    Seine Augen folgten dem Schlauch. Er zuckte zusammen. Neben dem Bett zu seinen Füßen saß Hanna auf einem Stuhl. Sie hatte sich ein Kissen in den Nacken gedrückt und war eingeschlafen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Also hatte er es doch geschafft, wenn auch auf ihm unverständliche Weise. Hanna und er waren wieder vereint. Krauss wollte ihren Namen aussprechen, aber aus seiner Kehle kam nur ein Krächzen. Hanna öffnete die Augen, sprang auf und beugte sich über ihn.
    »Sie sind aufgewacht, Herr Krauss«, sagte sie, erschrocken und erleichtert zugleich.
    Er hätte es besser wissen müssen. Die Frau war nicht Hanna. Sein vernebelter Verstand hatte ihm ein Wunschbild vorgegaukelt. Die Frau hatte Hannas Haare, dieses seidig schimmerndeBraun, das er so liebte. Aber ihre Augen waren grün und ihre Gesichtszüge Krauss völlig unbekannt. Er wollte sie fragen, was es mit ihm auf sich hatte, gurgelte aber nur unverständliches Zeug. Die Frau legte einen Finger sacht auf seinen Mund.
    »Versuchen Sie, nicht zu sprechen, Herr Krauss«, flüsterte sie mit weicher Stimme. »Sie müssen sich Ihre Kräfte aufsparen, jetzt, wo Sie wieder bei Bewusstsein sind.«
    Sie griff hinter das Kopfende seines Bettes und hantierte dort herum. Dann betupfte sie ihm mit einem feuchten Waschlappen den Mund, wischte ihm wie einem Kind zart über Wangen und Stirn. Sie war zwar nicht Hanna, aber bestimmt ein Engel, dachte Krauss. Ihre grünen Augen ruhten auf ihm, begutachteten kritisch seine Verfassung. Er bemerkte einen leichten Schimmer, ein skeptisches, kaum wahrnehmbares Flirren in ihren Pupillen. Es stand nicht gut um ihn.
    »Sie haben viel Blut verloren. Und Sie haben hohes Fieber. Sie müssen kämpfen, Herr Krauss.« Sie lächelte. Es sollte ihn aufmuntern, aber er sah die Angst darin, das Mitleid.
    »Kämpfen Sie, Herr Krauss«, beschwor sie ihn. »Kämpfen Sie.«
    Er war es so leid, das Kämpfen. Weil er nichts anderes kannte. Sein ganzes Leben war ein Kampf. Um Anerkennung, um Respekt, um Liebe. Um sein Seelenheil. Verfluchtes
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