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Ein Elefant im Mückenland

Titel: Ein Elefant im Mückenland
Autoren: Arto Paasilinna
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in dem sie mit Emilia auf der endlosen sibirischen Bahnstrecke hin und her fuhr. Sie gab auf den zahllosen Zwischenstationen Vorstellungen, und diesmal lohnten sich die Aktivitäten. In Sibirien hinter dem Ural mangel-te es nicht an Publikum, und da Lucia inzwischen flie-ßend Russisch sprach, war sie in der Lage, ihre Tournee gut zu organisieren. Auf den Nebengleisen und den Rangierbahnhöfen der Stationen stand das Publikum buchstäblich Schlange, und wenn Lucia Eisenbahner bestach, durfte sie Emilia mit ihren Kunststücken auf den Bahnsteigen oder sogar den Märkten der Städte präsentieren.
    Lucia engagierte einen vierzigjährigen Bahnbedienste-ten namens Igor Lozowski, der Emilia wusch und fütter-te, wenn die Primadonna selbst im Schlafwagen ruhte. Igor hatte alle Hände voll zu tun, denn ein Elefant frisst innerhalb von vierundzwanzig Stunden dreimal insge-samt zweihundert Kilo Futter und verlangt täglich eine Wäsche. Auch das Ausmisten war eine Riesenarbeit, denn es musste vom fahrenden Zug aus geschehen, Igor schleuderte den Dung durch die offene Tür in die endlo-sen sibirischen Wälder. Der Zug, aus dem es Tierkot in die Tundra regnete, erregte oftmals beträchtliches Auf-sehen unter den einsamen Bewohnern jener entlegenen Gegend.
    IGOR LEHRT EMILIA TANZEN
    Lucias privater Zugdiener und Elefantenpfleger Igor Lozowski war kein ganz echter Russe, sondern in seinen munteren Adern floss auch polnisches und möglicher-weise sogar tschechisches Blut. Igors Großvater war seinerzeit in den Stürmen des Ersten Weltkriegs in die Truppen der Mittelmächte geraten, die mit Schiffen auf Umwegen über den Stillen Ozean nach Wladiwostok geschickt worden waren, um den Russen in den Rücken zu fallen. Die des Krieges gründlich überdrüssigen Tschechen und die in ihre Reihen verschlagenen Polen hatten sich dann am östlichsten Ende der sibirischen Eisenbahn von den Truppen abgesetzt und ihre eigenen aufständischen Regierungen gebildet. Igors Großvater war also einer von ihnen gewesen, und als in Russland die Revolution ausgebrochen war, war er an Ort und Stelle geblieben, hatte sich unmittelbar in Zentralsibi-rien nördlich von Krasnojarsk in einem kleinen Dorf namens Hermantowsk verkrochen und zu seinem eige-nen Erstaunen überlebt. Er hatte eine Familie gegrün-det, und seine Nachkommen waren heute über ganz Sibirien verstreut.
    Igor war jetzt fast vierzig, er war 1950 geboren, drei Jahre vor Stalins Tod. Er unterhielt noch Kontakte in sein entlegenes Heimatdorf, und ab und zu äußerte er den Gedanken, er wolle hinfahren, wenn denn Lucia und Emilia mitkämen. Lucia sah keinen Grund, ihre Zirkusvorstellungen in einem so entlegenen Kaff zu geben, und so wurde der Plan zunächst verworfen.
    Für einen Polen hatte Igor ausgeprägte russische und sibirische Charakterzüge. Er war ein treuer Diener, war schwermütig veranlagt und trank gern Wodka, aber alles in allem war er ein recht wackerer Kerl. Manchmal, in einem Stadium melancholischer Trunkenheit, sah er die blonde Lucia mit traurigen, schmachtenden Blicken an und konnte sich die Frage nicht verkneifen, ob sie ihn denn wenigstens ein bisschen liebte, wenigstens ein Zehntel so viel für ihn empfand wie er für sie. Schon das würde ihm reichen! Lucia dachte nach; sicher, ein Zehn-tel Liebe oder zumindest Sympathie für ihn empfand sie schon, aber sie gab es lieber nicht laut zu. In fremden Ländern war man als junge Frau besser vorsichtig mit den Männern, sei es auch, dass Igor letztlich ein braver Bursche war.
    Die von Lucia und Igor organisierten Elefantenauftrit-te gefielen den Sibiriern. Das Programm enthielt zu-nächst alte Kunststücke aus Finnland und vom Großen Moskauer Zirkus, doch als sich Emilia mehr und mehr zu einer richtigen Schauspielerin entwickelte, kam Igor auf die Idee, anspruchsvollere Rollen mit ihr einzustu-dieren. Er selbst konnte gut Trepak tanzen, und so beschloss er, auch Emilia diesen schwungvollen Kosa-kentanz beizubringen. Lucia reagierte zunächst ableh-nend auf das Vorhaben. Ihrer Meinung nach war ein Elefant zu schwer für solche Tänze, seine Knochen würden den Anstrengungen nicht standhalten. Sie hielt es für denkbar, dass Emilia vielleicht langsame Walzer tanzen könnte, aber das Stampfen bei einem Kosaken-tanz war bestimmt zu viel für ein so großes Tier. Igor erklärte, dass seine Großmutter mindestens ebenso dick wie ein Elefant sei, aber trotzdem flink und wendig tanze.
    Igor besaß eine alte fünfreihige
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