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Ein diebisches Vergnügen

Ein diebisches Vergnügen

Titel: Ein diebisches Vergnügen
Autoren: P Mayle
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einen oder anderen zu veräußern? Ich meine, Sie haben hier unten ja eine beträchtliche Menge Kapital gebunden.«
    »Mal sehen«, erwiderte Roth und ließ den Blick über die Stellagen mit Flaschen und akribisch aufgestapelten Lattenkisten schweifen. »Der 1961er Latour würde beispielsweise zwischen 100 000 und 120 000 Dollar pro Kiste einbringen, der 1983er Margaux um die 10 000 Dollar und der 1970er Petrus – nun, Produkte dieses Weinguts sind darauf abonniert, bei einer Auktion Spitzenpreise zu erzielen. Ich schätze, die wären ungefähr 30 000 Dollar wert, sofern man überhaupt an sie herankommt. Jedes Mal, wenn eine Flasche dieses Jahrgangs getrunken wird, treibt die Verknappung des Angebots den Preis in die Höhe, im gleichen Maß wie die Qualität des Weines.« Er füllte die Gläser nach und betrachtete die Blasen, die spiralförmig nach oben stiegen. »Doch
um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich gerate nicht in Versuchung zu verkaufen. Für mich gleicht die Weinsammlung einer Kunstsammlung. Flüssige Kunst.«
    »Reden wir Klartext. Was glauben Sie, ist Ihre Sammlung wert?«, entgegnete Evans.
    »Im Augenblick? Allein der Bordeaux annähernd drei Millionen, würde ich sagen. Mit steigender Tendenz im Laufe der Zeit. Wie ich bereits sagte, die Verknappung des Angebots treibt den Preis in die Höhe.«
    Der Fotograf, der die kreativen Möglichkeiten der Weinflaschen und Stellagen erschöpft hatte, näherte sich nun Roth, den Belichtungsmesser in der Hand, um eine Messung der Daten vorzunehmen. »Zeit für ein Porträtfoto, Mr. Roth«, kündigte er an. »Könnten wir Sie drüben an der Tür aufnehmen, vielleicht mit einer Flasche in der Hand?«
    Roth dachte einen Moment nach. Dann nahm er, mit unendlicher Behutsamkeit, eine Magnumflasche 1970er Petrus aus ihrer Ruhestätte. »Wie wäre es damit? Zehntausend Mäuse, falls man eine solche Rarität überhaupt noch irgendwo auftreiben kann.«
    »Perfekt. Und nun bitte nach links, damit wir Licht auf Ihr Gesicht bringen, und versuchen Sie, die Flasche vor Ihre Schulter zu halten.« Klick, klick . »Fantastisch. Die Flasche ein wenig höher. Ein angedeutetes Lächeln. Fabelhaft. Wunderbar.« Klick, klick, klick . Und so ging es fünf Minuten lang weiter, wobei Roth reichlich Gelegenheit erhielt, seine Mimik zu verändern: Aus dem glücklichen Weinkenner wurde nun ein seriöser Weininvestor.
    Roth und Evans überließen es dem Fotografen, die Ausrüstung zusammenzupacken, und warteten draußen vor dem Keller. »Haben Sie alles, was Sie wollten?«, erkundigte sich Roth.

    »Absolut«, antwortete der Journalist. »Das wird eine richtig nette Reportage.«

    Und genau so kam es. Eine volle Seite in der Wochenendbeilage (unter der vorhersehbaren Überschrift »Roths Rebsaft«) mit einer Großaufnahme des Anwalts, der seine Magnum im Arm wiegte, und mehreren kleinen Fotos vom Keller, begleitet von einem angemessen ausführlichen Text. Er war nicht nur schmeichelhaft, sondern auch mit jenen Details gespickt, die Weinliebhaber erwarten, angefangen von der Anzahl der Flaschen, die für jeden Jahrgang erzeugt wurden, bis hin zu Kommentaren von namhaften Weinexperten wie Broadbent und Parker, die sich zur Qualität äußerten. Darüber hinaus gab es Wissenswertes über die verschiedenen Rebsorten und Informationen, die nur für einen kleinen Kreis Eingeweihter von Interesse waren, wie Daten über den Beginn der Weinlese, die Perioden der Mazeration, die Bodenbeschaffenheit und den Tanningehalt. Und im Text verstreut fanden sich, wie Trüffel in der foie gras, die Preise. Sie wurden normalerweise pro Kiste oder Flasche angegeben, manchmal jedoch in kleineren Maßeinheiten, die erschwinglicher waren, zum Beispiel 250 Dollar pro Glas oder (für den Yquem, der von einem der teuersten Weingüter der Welt stammte) 75 Dollar pro Schluck.
    Nachdem Roth den Artikel gelesen hatte, war er mehr als zufrieden. Er fand, dass er der Öffentlichkeit als passionierter und durch und durch seriöser Sammler präsentiert wurde. Nichts Protziges oder Neureiches, solange der geneigte Leser von der flüchtigen Anspielung auf das Wochenendhaus in Aspen und seiner Vorliebe für Privatjets absah. Doch selbst
diese waren ein durchaus annehmbares, im Grunde sogar ziemlich normales Zubehör in den oberen Regionen der kalifornischen Society des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Alles in allem konnte er also zuversichtlich sein, dass die Reportage ihren Zweck erfüllt hatte. Die Welt – oder zumindest die
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