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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Autoren: Peter Henning
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trat an die Panoramascheibe und zog den Sichtschutz einen Spaltbreit beiseite. Langsam rollte der Streifenwagen aus dem Bild. Das Adrenalin, das der Anblick des grün-weiß lackierten Fahrzeugs in ihm freigesetzt hatte, raste in Millisekunden durch die labyrinthischen Windungen seines Innern und krachte wie eine abgeschossene Flipperkugel, die über Rollovers und durch In- und Out-Lanes jagte, so lange ruhelos und mit einer solchen Heftigkeit wieder und wieder gegen seine körpereigenen Bumper und Zielscheiben, dass er, der in Tausenden von Spielstunden gestählte Flipperkönig von Gladbeck-Ellinghorst, einen Moment lang glaubte, einen Tilt verursachen und aufstecken zu müssen, um nicht komplett zu überdrehen.
    Im selben Moment sprang Degowski mit einem Satz über den Schalter und stieß Andrea Branske, die das Kassenhäuschen aufschloss, den Revolver an den Kopf. »Alles nur wegen dir, du bestussteKuh!«, schrie er. Und da hatte Rösner sich auch schon wieder gefangen.
    Mit schnellen Schritten war er bei dem reglos auf dem Boden verharrenden Reinhard Allbeck und hielt ihm seine Waffe an den Kopf: »Los, aufstehen, aber schnell! Und dann da rüber zu meinem Kumpel!«
    Er spürte die Müdigkeit kommen. In dünnen, schweren Schleiern legte sie sich über ihn. Er hatte in der Nacht kaum ein Auge zugemacht.
    Sie würden hier rauskommen, mit oder ohne Gewalt. Und mit der Kohle. Dessen war er sich ganz sicher. Notfalls mit Hilfe von Geiseln.
    ***
    Wie immer war er der Erste.
    Er machte im Newsroom, wie sie das Großraumbüro nannten, das Licht an. Flackernd rissen die Neonleuchten die Schreibtische aus dem Halbdunkel. Dann schaltete er die an der Wand hängenden Bildschirme ein und ging in sein Büro am Ende des Raums, einen acht Quadratmeter großen Glaskasten. Er knipste die Schreibtischlampe an und warf seine Aktentasche auf den lederbezogenen Zweisitzer, auf dem er schlief, wenn es spät wurde und er keine Lust mehr verspürte, nach Hause zu gehen. Er stellte die mitgebrachte Thermoskanne (die amerikanische Art) auf seinen Tisch, schaltete den Fernseher an und schaute kurz bei CNN und BBC rein. Nach der ersten Tasse Kaffee würde er die Telexe, die in der Nacht eingegangen waren, durchsehen. Wo blieb eigentlich die Botin mit den Tageszeitungen?
    Maibach spülte seinen Kaffeebecher in der kleinen Redaktionsküche aus und ging zurück in sein Büro. Er hatte sich gerade hingesetzt, da tauchte Kathrin Jürgens, seine Assistentin, auf.
    »Ruhig heute«, sagte sie. »Bis auf die Sache da in Gladbeck. Wollen hoffen, dass noch was passiert!«
    Kathrin lag ihm seit Tagen in den Ohren, er solle mal Pause machen, den Flieger nehmen und einfach mal für ein paar Tage abhauen, doch nicht, weil sie sich Sorgen um seine Gesundheit machte, sondern weil sie ihn loswerden und eine ruhige Kugel schieben wollte.
    Er wusste, wie sie hinter seinem Rücken über ihn redeten. Aber das war ihm egal. Er würde aus dieser Nachrichtenredaktion die Nummer eins in Deutschland machen. Wie und mit welchen Methoden, das hatte er zwei Jahre in New York bei der Fox Broadcasting Company studiert. Drama, Emotionen, das wollten die Leute sehen. Am liebsten durchs Schlüsselloch. Ethische Bedenken konnten sie sich auf dem Weg nach oben nicht erlauben. Sex and Crime, das waren die Säulen, auf denen er sein Imperium aufbauen würde. Es ging um Quote. Und Quote hieß – das hatte er in den USA gelernt –, die Messlatte so tief zu hängen, dass man gerade noch drunter durchrutschen konnte. Ihr Publikum waren der Pöbel und das Millionenheer der Ahnungslosen, und nicht eine Handvoll intellektueller Bedenkenträger. Sie würden es den arroganten Schlaffis von ARD und ZDF zeigen, die jetzt noch mitleidig lächelten, wenn er und seine Leute mit ihrem RTL-Equipment in Pressekonferenzen auftauchten. Und wer auf diesem Weg nicht mitkam, der musste am Wegrand liegenbleiben. So einfach war das!
    »Was für eine Sache ist das?«, sagte Maibach.
    »Zwei Männer haben eine Bank überfallen und sich in dem Gebäude verschanzt. Kam vor ein paar Minuten über den Ticker. Mehr weiß ich auch nicht.« Kathrin Jürgens rieb sich entschuldigend die Hände.
    »Was stehst du dann noch hier rum? Beweg deinen Hintern, und mach dich schlau. In zwanzig Minuten will ich wissen, was da los ist. Und zwar alles.«
    »Mach ich!«, sagte sie und drehte sich um.
    Maibach goss sich Kaffee ein und ließ lässig ein Stück Würfelzuckerhineinfallen. »Und wenn ich sage zwanzig Minuten,
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