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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Niederschrift des Traumes nie vermerken; das zu erfassen, müsse man dem Leser überlassen, dessen einzige Aufgabe solcherlei sei.« In der endgültigen Fassung wurde aus dem Förster ein Oberförster (vgl. » Der Oberförster « in diesem Band).
    Nach dem Frühstück, meist gegen halb zehn, folgte der gemeinsame Gang durch den Garten. Gegen zehn Uhr ging Jünger hoch in sein Arbeitszimmer, ich in das gegenüberliegende Zimmer mit dem anschließenden Raum, in dem die Briefe gesammelt wurden. Vormittags schrieb Jünger stets am Manuskript, das gerade entstand, bis gegen eins. Wenn dabei, so sagte er, eine Handbreit neuer Text, eine drittel Seite also, zustande kam, die Bestand hatte, empfand er das als zureichendes, ja gelungenes Tagwerk. Er schrieb die erste Fassung seiner Manuskripte prinzipiell mit der Hand, spätere Abschriften mit der Maschine. Gegen eins – wenn er guten Mutes war, hörte ich ihn schon pfeifen – kam er dann zu mir ins Zimmer, erkundigte sich nach dem Stand der Dinge, plauderte; derweil hatte Resl unten den Tisch gedeckt – sie versorgte Haus und Küche, bis Jünger im Frühjahr 1962 wieder heiratete und Liselotte Jünger das Regiment, und oft auch die Küche, übernahm.
    Um die Mittagszeit kam die Post, die zum Nachtisch geöffnet und kommentiert wurde, regelmäßig auch die FAZ , deren politischen Teil er mir gab, während er das Feuilleton las. Auch da ergaben sich, ausgelöst durch Lektüre, Gespräche, und manchmal dozierte Jünger auch, so aus Anlass eines Artikels in der Zeitung über das Zeitgemäße der Kunst: »Wo Kunst zeitgemäß sei, werde ihr Ruf zweifelhaft. Doch wo Kunst nicht mehr zeitgemäß ist, ebenso. Unzeitgemäß will ja sagen, daß etwas mit den Maßstäben der Zeitlichkeit und der Vergänglichkeit nicht zu messen ist. Kunst muß quasi außerzeitlich sein. Viele der späten Naturalisten und der Expressionisten überhaupt sind kaum mehr lesbar, sie sind unzeitgemäß, weil sie einmal zeitgemäß waren. Die Probleme, die sich damals den Dichtern stellten, sind längst gelöst oder haben sich aufgelöst, sind jedenfalls heute keine Probleme mehr. Sie waren vermutlich zu speziell gefaßt. ›Götz von Berlichingen‹ oder ›Die Räuber‹ dagegen bringen Problemkreise vor, die allgemeingültig sind und eingelöst. Wahrscheinlich ist Kunst stets bedingt vom einlösbaren Problem und seiner Darstellung oder Umformung ins Wort, ins Bild, in die Plastik. Musik trägt einen eigenen Charakter. Sie will keine Probleme erfassen, ist reines Spiel . Die unlösbaren Probleme aber sind vom Menschen nicht zu lösen, weil er Mensch und deshalb unvollkommen und zur Vollkommenheit unfähig ist; erst dadurch werden die Probleme unlösbar.« (Notiz vom 22. Oktober 1962)
    Wenn nichts Besonderes anlag, Besuch erwartet wurde oder nachmittags Geschäfte in Riedlingen zu erledigen waren, brachen wir nach dem Essen gegen zwei Uhr auf zu unseren regelmäßigen Gängen durch die Wilflinger Fluren und Wälder. Meist gegen fünf Uhr waren wir wieder zurück, ich ging an die Arbeit und Jünger verschwand in seinem hinter der Bibliothek gelegenen Arbeitszimmer, dann war für zwei Stunden Postzeit: Er hieb ziemlich kräftig in die Schreibmaschine, das konnte ich noch auf der anderen Seite des Flurs, wo mein Arbeitszimmer und der Raum der Briefe lag, hören. Gegen sieben Uhr brachte ich die Briefe noch zur Poststelle, und wenn ich zurückkam, hatte Resl meist schon den Abendbrottisch gedeckt. An dem saßen wir manchmal noch bis neun, halb zehn zusammen, tranken Bier oder eine Flasche Wein, Jünger meist nur ein, zwei Gläser, ich den Rest. Dann zog er sich zurück – das war die Zeit, in der er sich oft mit seinen Käfern beschäftigte oder noch Post erledigte. Ich las oder arbeitete bis gegen elf.
    Oder er legte nach dem Abendessen einige Patiencen; und manchmal gab es auch dies: »Gemütlich gestübelt in des Chefs Arbeitszimmer; Shanties, Schlager und zum Schluß Offenbach: Hoffmanns Erzählungen. Herrlich die Barkarole. Der Chef war heiter und humorvoll; er ist überhaupt dieser Tage in einer seltenen Hochstimmung. Er arbeitet viel und hat, wie er sagt, dabei eine glückliche Hand. Er erklärt sich das durch den vorhergegangenen Abstieg, die Depression folgt ihm; schöpferische Melancholie, die nach der Arbeit ihren Ausgleich in gelöster Heiterkeit findet.« (Notiz vom 24. Oktober 1962)
    Der ›übliche‹ Tageslauf wurde aber häufig genug durchbrochen: wenn Besuch sich angesagt hatte, oder wenn
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