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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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es wäre besser, wenn die Gefahr sich präsentierte; das stand uns bevor.
    Es wurde warm und fast heiß unter den Sohlen; an manchen Stellen zersetzte sich der Boden in bläuliche Flecken wie auf dem Floß der »Meduse« oder dem Holz morscher Erlen an den Flußufern. Diese Flecken begannen unruhig zu werden und zu wandern; sie verbanden sich zu zähflüssigen Rinnsalen, aus denen ein schwefliger Dunst sich verbreitete. Das Atmen wurde schwierig; kein Zweifel, wir waren in eine Solfatara geraten – nicht in die eines ausklingenden Erdalters, sondern in eine beginnende Eruption. Erloschene Vulkane haben sich erholt. Die Kruste ist noch nicht feuerflüssig, aber in Gruben kochend oder glühend heiß. Ich entsann mich des Ausflugs, den ich während meines Aufenthaltes in Neapel nach Pozzuoli gemacht hatte. Dort brodelte es aus der Tiefe; die Alten hielten den Ort für den Schauplatz des Gigantenkampfes, die Christen ihn für die Vorhölle. Auch damals war es dunstig; ich wurde gewarnt. Am Vorabend war ein Engländer verschwunden, der sich ohne Führung auf das Gelände gewagt hatte.
    *
    Es versteht sich, daß wir nicht geradeaus marschieren konnten, aber Freddy hielt gut die Richtung; ich fühlte mich sicher bei ihm. Wir kamen voran. Die Eruptionen machten uns dabei weniger zu schaffen als Granaten im Gefecht. Wir sahen zuvor den Dampf aufsteigen und waren gewarnt. Manche warfen nur heißen Schlamm auf, andere Garben von Funken wie die Schneidbrenner.
    Bedenklicher war das Anschwellen der Rinnsale. Sie verbanden sich zu Bächen, die nicht mehr zu überspringen waren, auch stiegen Flammen aus ihnen auf. Wenn die Hitze einen Grad erreichte, bei dem der Phosphor nicht mehr brannte, sondern explodierte, war es mit einem Schlage vorbei. Wir hatten die kritische Phase erreicht. Daß ein Nachmittagsspaziergang im Weichbild einer Großstadt diese Wendung nehmen konnte, schien abenteuerlich. Andererseits, objektiv betrachtet: kein ungewöhnlicher Fall. Man steigt ins Auto und endet nach zwei Stunden in der Anatomie. Heut fährt jeder mit tödlicher Geschwindigkeit.
    *
    Bei einem Unfall geht es schnell. Dagegen war unser Abenteuer, wenn ich so sagen darf, eher romantisch: es entwickelte sich. Es gehörte zu jenen, die als Schleife beginnen und sich zum Knoten schürzen – die Schlinge zieht sich zu. Der Weg, im Anfang labyrinthisch, nahm Formen an, er kristallisierte sich. Wir konnten uns nicht mehr auf den Zufall verlassen – wir waren zum Handeln gezwungen; entweder – oder, jetzt oder nie.
    Es war sehr hell geworden; der Montmartre war nicht mehr durch Dunst, er war durch Feuer verhüllt. Hinter uns hatte der Glutstrom sich zum Kreis geschlossen oder, genauer gesagt, zum Oval. Es gab kein Zurück mehr, doch auch in der Front sah es böse aus. Merkwürdig war, daß dieses Oval, wie durch eine Fata Morgana gespiegelt, auch vor uns erschien, so daß beide den Umriß einer Sanduhr bildeten – einer glühenden Acht.
    Ich überschlug unseren Spielraum; er war beschränkt. Die Glut im Rücken würde uns vorantreiben, ob wir wollten oder nicht. Der Knotenpunkt war auch die einzige dunkle Stelle; vielleicht hatte das Doppelfeuer schon alles Brennbare verzehrt. Es war unwahrscheinlich, doch nicht ganz unmöglich, daß wir dort ausharren konnten, bis der Brand in beiden Ovalen erloschen war. Im besten Falle kamen wir ein wenig geröstet davon.
    Wie soll ich erklären, daß in dieser hoffnungslosen Lage sich meine Stimmung weiter verbesserte, ja fast erheiterte? Es war Freddys Gegenwart, die Wunder wirkte: sein Bei-mir-Sein stärkte mich mit jedem Schritte, obwohl wir kaum ein Wort wechselten. Freddy war, wenn nicht mein besseres, so doch mein stärkeres Ich. Mir konnte nichts geschehen, solange er bei mir war.
    So kam es, daß eine Sorge mich noch mehr bedrängte als das Feuer: die bange Frage, ob Freddy bei mir bleiben würde und ob er dasselbe für mich empfände wie ich für ihn. Er hatte sich vom Kellner zum Kameraden und dann zum Wissenden verwandelt und wandelte sich weiterhin. Er kam mir näher, ganz nahe; es wurde einfacher. Er legte den Arm um meine Schultern; das tat gut.
    Das Oval wurde schmäler; es war günstig, daß kein Wind wehte und die Flammen steil aufstiegen. Wir machten Halt bei einem Rasenstück. Das Gras war am Morgen noch grün gewesen; jetzt war es braun. Auch allerlei Tiere hatten sich hierher geflüchtet, darunter unsere Schildkröte. Sie machte Männchen; Freddy nahm sie auf und schob sie in sein Hemd.
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