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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter
Autoren: Rose Gerdts
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Mann drehte sich mit einem entschuldigenden Lächeln zu Navideh um. «Ich hoffe, Sie haben es nicht eilig?» Doch bevor Navideh etwas entgegnen konnte, hatte er sich schon wieder abgewandt. «Sind das wirklich Bio-Eier? Ich hab neulich in der Zeitung gelesen, dass Woche für Woche Zigtausende von Eiern in Deutschland falsch deklariert werden.»
    Er ist bösartig, dachte Navideh, durch und durch bösartig.
    Seine weichen Gesichtszüge erinnerten sie an einen Sadisten, den sie und ihre Kollegen vor zwei, drei Jahren festgenommen hatten. Der Mann hatte wie der unscheinbare Nachbar von nebenan gewirkt. Tatsächlich verbarg sich hinter seinem harmlosen rundlichen Gesicht aber ein skrupelloser Mörder.
    Erneut musterte Navideh den Kunden verstohlen. Wahrscheinlich ist das seine übliche Nummer, um in Stimmung zu kommen, dachte sie und sah sich nach möglichen Verbündeten um. Frauen mit wenig Zeit, die sich mit ihr auf den Mann stürzen und ihn mit seinen gerade erworbenen Käsestücken bewerfen würden. Aber hinter ihr standen nurzwei ins Gespräch vertiefte Studentinnen. Beide strahlten eine große Gelassenheit aus.
    Die würden doch nicht mal merken, wenn die Verkäuferin vor ihrer Nase den Verkaufswagen abbauen würde, dachte Navideh gehässig.
    Wie erwartet, hatte der leise Verdacht der Falschdeklarierung die Bio-Verkäuferin schwer getroffen. Wortreich beteuerte sie, dass der Bauernhof im St.-Jürgensland regelmäßig überprüft werde. «Sonst würden wir deren Produkte auch nicht abnehmen», merkte sie säuerlich an. Als sie schließlich in einer Schublade nach einem Faltblatt zertifizierter Bio-Höfe kramte, gab Navideh auf.
    Sie griff sich ihren vollgepackten Rucksack und lief zum Supermarkt, der ein paar hundert Meter entfernt an der Hauptstraße lag. Die beiden jungen Frauen rückten auf und nahmen ihren Platz ein, ohne ihren Weggang überhaupt zu bemerken.
    Der Verkäufer an der Käsetheke des Supermarktes drehte sich gerade zu ihr um, als Navidehs Handy in der Jackentasche klingelte. Umständlich fummelte sie es heraus und warf dem Mann einen entschuldigenden Blick zu.
    «Hallo Navideh. Bist du schon auf dem Weg ins Präsidium?», fragte Werner Müller, der Leiter des Kriminaldauerdienstes.
    «Nein. Ich bin noch beim Einkaufen. Warum?»
    «Frank und Michael holen dich gleich zu Hause ab. Wir haben einen Leichenfund am Bunker Valentin in Farge. Möglicherweise ein Gewaltdelikt.»
    «Männlich? Weiblich?» Navideh zögerte, bevor sie weiterfragte. «Alter?»
    «Eine Frau. Vermutlich noch relativ jung. Mehr weiß ich nicht. Kann ich Frank sagen, dass du gleich zu Hause bist?»
    «Ja.»
    «Die beiden werden in zehn Minuten bei dir sein.»
    Navideh Petersen steckte ihr Handy in den Rucksack. Seufzend entschied sie sich für ein tiefgekühltes Fertigdessert. Wenn sie Pech hatte, und es handelte sich nicht um einen Selbstmord, konnte sie das geplante Abendessen sowieso vergessen. Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sie über sich selbst erschrak. Ein Leben war ausgelöscht. So oder so würde für die Angehörigen eine Welt zusammenbrechen. Und sie dachte an ihr persisches Abendessen!
    Es war nicht das erste Mal, dass Navideh feststellte, wie die Arbeit in der Mordkommission sie veränderte. Sie wollte nicht so werden wie einige der älteren Kollegen, die sich die Schicksale hinter den «Leichensachen» mit Sarkasmus vom Leib hielten.
    «Man muss offenbleiben für den Schmerz und die Verzweiflung, die jeder gewaltsame Tod bei den Angehörigen auslöst», hatte sie zu Frank Steenhoff einmal gesagt. «Sonst merkt man nicht, wenn einem etwas vorgespielt wird.» Was sie dabei verschwieg, war der Gedanke, dass sie sich vor sich selbst fürchten würde, sollte sie eines Tages vor einer Leiche stehen und nichts mehr empfinden.
    Frank Steenhoff, mit dem sie seit Beginn ihrer Arbeit bei der Mordkommission in Bremen das Büro teilte, gab ihr zwar recht. Aber er hatte auch Einwände. «Man muss empfinden können, ohne sich von den Gefühlen mitreißen zu lassen. Distanz zum Fall, zum Opfer und zu den Angehörigen ist genauso wichtig wie Einfühlungsvermögen bei der Vernehmung. Letztlich müssen wir alle aufpassen, dass uns die vielen Toten in unserem Job nicht den Spaß am eigenen Leben nehmen.»
    Bislang war Navideh die Gratwanderung immer gelungen.
    Während sie ihr Fahrrad aufschloss und eilig in ihre kleine Wohnstraße zurückfuhr, erlaubte sie sich zu hoffen, dass sie am Sonntag wie geplant Khoresch-e
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