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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond
Autoren: Lena Johannson
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Verwechseln ähnlich. Jo hoffte, dass es auch die Erinnerungen übernommen hatte.
    »Mein Vater ist Grafikdesigner. Sein Name ist Otto Niemann. Er hat Sie auf dem Bild im Arm.«
    Es entstand eine lange Pause, in der Fee Zweig leidenschaftlich, um nicht zu sagen, beinahe obszön die Tonskulptur bearbeitete, die vor ihr auf einer Scheibe aufgebaut war. Sie streichelte sie, presste ein langes Gebilde, das ein Bein darstellen konnte, fest zusammen, dass der Ton nur so aus ihren Fingernquoll. Sie feuchtete die Hände an, drang mit dem Daumen an einer Stelle, die Jo eindeutig unanständig fand – jedenfalls in einer Kirche –, tief in das glänzende Material und schloss die Augen, während sie den Daumen langsam darin hin und her drehte.
    »Er war gierig«, hauchte Fee Zweig plötzlich, als Jo schon überlegte zu gehen. »Gierig nach dem Leben. Wir haben uns manchmal gesehen. Bei Festen, auch in Ateliers und Galerien.« Während sie sprach, glitten ihre Hände weiter über die feuchte Masse. Zu Jos unendlicher Erleichterung sah es nun wieder mehr nach einer künstlerischen Arbeit als nach einer sexuellen Handlung aus. »Er hatte schlechtes Karma, darum wollte ich ihn nicht mehr treffen.« Es war mehr der Singsang als die Stimme, der Jo zunehmend auf die Nerven ging.
    »Was meinen Sie damit?«
    »Schlechtes Karma, meine Schwester. Er war umgeben vom Unglück. Die Härchen in meinem Nacken haben sich aufgestellt, wenn er in meiner Nähe war. So etwas überträgt sich. Ich wusste, wenn ich mich mit ihm abgebe, ziehen Kummer und Krankheit auch in mein Haus ein.«
    Jo fragte sich, was ihr alles zu Berge gestanden haben mochte, als ihr Vater sie immerhin in den Arm nehmen durfte, verkniff es sich aber, danach zu fragen. Das alte Ich war vermutlich ein wenig robuster und hatte das überstanden.
    Die Bildhauerin ließ die Arme sinken und starrte mit einem hohlen, unheilvollen Blick in die Ferne. Jo wurde unheimlich zumute. Gänsehaut lief ihr über Kopfhaut und Rücken.
    »Er war krank«, sagte Fee Zweig tonlos. »Da war ein Geschwür auf seiner Seele, etwas, das ihn getötet hat. Nicht wahr,er ist nicht mehr am Leben.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die Jo nun endgültig aus der Fassung brachte.
    »Woher wissen Sie das?«
    Fee wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und schob sich eine Strähne zurück, die aus dem Tuch gerutscht war, wobei sie einen grauen Streifen an ihrer Schläfe hinterließ.
    Sie fiel zurück in ihren Singsang, als sie erwiderte: »Seine Aura hat es mir gesagt. Es hat mich nicht überrascht, dass die Mutter seines Sohnes bald nach der Geburt gestorben ist. So etwas überträgt sich, Schwester, das darfst du ruhig glauben.«
    Jo starrte sie an. »Er hat ein Kind? Hier?«
    »Einen hübschen blondgelockten Burschen, der sich glücklicherweise von ihm abgewandt hat, als noch Zeit dazu war.« Sie hatte ihre Arbeit wieder unterbrochen und schien an den Sohn von Otto Niemann, an Jos Halbbruder zu denken.
    »Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
    »O nein. Mein altes Ich hat sich um die Leute gekümmert. Seit meiner Wiedergeburt lebe ich auf einer höheren Ebene. Diese Dinge haben keine Bedeutung mehr für mich.«
    »Für mich schon«, murmelte Jo. »Wo hat er denn gelebt, als Ihr altes Ich das noch wusste?«
    Fee warf ihr einen langen vernichtenden Blick zu. »Schwester«, sagte sie und machte eine wirkungsvolle Pause. »Mir ist nicht entgangen, dass du noch nicht soweit bist, mit mir auf einer Ebene zu kommunizieren. Es steht dir nicht zu, dich über mich lustig zu machen.«
    »So war das nicht gemeint«, schwindelte Jo. »Tut mir leid. Für mich sind diese Dinge noch sehr wichtig. Erinnern Sie sich wenigstens noch an seinen Namen oder den seiner Mutter?«
    Trotz ihrer Entschuldigung war das Gespräch beendet. Fee Zweig wandte sich ihrem Tonklumpen zu und würdigte Jo keines Blickes mehr.
    »Es würde mir wirklich viel bedeuten, wenn Sie mir helfen könnten«, versuchte Jo es noch einmal, ohne eine Antwort zu erhalten.
    Draußen hatte sich nichts verändert. Die Sonne schien noch immer unbeschwert vom Himmel, die Möwen schrien ein um das andere Mal die gleiche Strophe, die Urlauber tummelten sich auf der Dorfstraße, kauften noch immer die gleichen Postkarten, trugen die gleichen Badelatschen und Sonnenbrillen. Und doch war nichts wie vorher. Jedenfalls nicht für Jo. Sie hatte einen Halbbruder, daran gab es keinen Zweifel mehr. Wäre es nur diese vollkommen verrückte Künstlerin gewesen, die das
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