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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Latif fährt sofort an den Rand der Piste und stellt den Motor ab. Atemlos warten wir ab. Selbst als die düsteren Fahrzeuge sich bis auf 50 Meter genähert haben, sehen wir nur, dass es sich um Pickups, um Pritschenwagen, handelt. Ob sie Gaddafi-Kämpfer oder Rebellen transportieren, können wir nicht feststellen. Ihre Geschütze sind auf uns gerichtet.
    Yussuf ist grau um die Nase, die tapfer filmende Julia bleich. »Freund oder Feind?«, frage ich Abdul Latif leise. Auch er weiß es nicht. Soldaten und Aufständische sehen hier meist gleich aus. Doch plötzlich reißt Abdul Latif die Senussi-Flagge der Rebellen hoch und hält sie gegen die Windschutzscheibe. An irgendetwas muss er erkannt haben, dass es Rebellenfahrzeuge sind. Die Aufständischen veranlasst das nicht, die Richtung ihrer Geschütze zu ändern. Sie schauen uns finster an. Wenige Meter vor uns halten sie.
    Abdul Latif greift zu seiner Geheimwaffe, meinem ins Arabische übersetzten Buch Warum tötest du, Zaid? . Es hat uns in den drei Tagen, die wir in Libyen sind, schon mehrere Türen geöffnet. Ein Deutscher, der ein Buch in arabischer Sprache veröffentlicht, kann kein Feind sein, dachten die meisten. Wenn uns jemand mit Misstrauen begegnete, hatte Abdul Latif blitzschnell das Buch hervorgezogen und daraus vorgelesen. Selbst Mustafa Abd Al-Dschalil, der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats, war einer Lesung nicht entkommen. Zehn Minuten lang musste sich das frischgebackene Oberhaupt des freien Libyen in der Rebellenstadt Al-Baida Auszüge aus dem Zaid anhören. Vor allem jene, die Libyen betrafen.
    Unsere Wüstenrebellen sehen allerdings wie eine Räuberbande aus, die nur selten Bücher in die Hand nimmt. Doch Abdul Latif kennt kein Erbarmen. Noch während sie ihm ihre Waffen vor die Nase halten, beginnt er seinen Vortrag. Dabei deutet er mehrfach fast theatralisch auf mich. Unerschrocken kämpft seine Stimme gegen den heulenden Wind an, der fast zum Orkan angeschwollen ist. Staunend schauen die Kämpfer zu, wie Abdul Latif, einem Wüstenprediger gleich, mit ausladenden Gesten aus meinem Buch vorliest. Die Szenerie ist skurril.
    Abdul Latif ist von seinem Vortrag selbst so mitgerissen, dass er auf Englisch schließt: »Die Russen und die Amerikaner haben uns nicht aufgehalten. Ihr werdet das jetzt auch nicht tun.« Dann lacht er sein herzliches Lachen, dem noch niemand widerstanden hat.
    Sein Vortrag mitten in der Wüste ist so spektakulär, dass einige der Rebellen Beifall klatschen. Einer will mir gleich seine Kalaschnikow schenken. Aber ich lehne dankend ab. Auch weil Julia filmt. »Meine Waffe ist die Feder«, sage ich und bin froh, dass der Wind die pathetischen Worte gleich wieder fortträgt. Eine Diskussion über die Revolution beginnt. Dann bekommen wir alle eine Dose Maracujasaft. Dankbar trinken wir das süße Zeug. Es ist das erste Getränk seit heute morgen.
    In der Zwischenzeit werden wir von zwei weißen Pkws überholt. Seine Insassen, darunter ein Kleinkind, winken uns fröhlich zu. Sie haben Gepäck auf dem Dach und wollen offenbar auch nach Brega. Wir nehmen nun die Warnungen der Rebellen nicht mehr ganz so ernst. Wenn Familien mit Kindern durchkommen, schaffen wir das auch.
    Nach herzlichen Umarmungen und dem unvermeidlichen Siegeszeichen geht es weiter. Die Rebellen hätten uns am liebsten eskortiert. Aber das haben wir überall abgelehnt. Auch in Brega wollen wir nicht mit bewaffneter Begleitung einfahren.
    Abdul Latif gibt uns Datteln. Er selbst isst nur eine, weil er Diabetiker ist. Er erzählt uns, dass die Beduinen den Kern der letzten Dattel stets im Mund behalten. Er rege den Speichelfluss an und vermindere den Durst. In der Wüste könne das lebenswichtig sein.
    Es gibt einen weiteren Grund, warum Abdul Latif heute so guter Stimmung ist. Er hatte frühmorgens einen Brief an Abd Al-Dschalil entworfen, in dem er aufzeigte, wie man eine NATO -Intervention noch vermeiden könne.
    Wir haben über diese Frage in den letzten Tagen stundenlang diskutiert. Abdul Latif ist wie ich der Auffassung, dass eine Verhandlungslösung noch immer möglich ist. Die Alternative zur militärischen Intervention sei eine diplomatische Offensive. Ban Ki-moon, der sich bisher meist nur als Angsthase profiliert habe, müsse in Begleitung von Blauhelmen sofort nach Bengasi – als persönlicher Garant für die Sicherheit der Bevölkerung. Sarkozy und Berlusconi, die bekanntlich gute Freunde Gaddafis seien, müssten gleichzeitig zu Gesprächen
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