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Drucke Zu Lebzeiten

Drucke Zu Lebzeiten

Titel: Drucke Zu Lebzeiten
Autoren: Franz Kafka
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Nun be- trieb er ein
Geschäft in Petersburg, das anfangs sich sehr gut angelassen
hatte, seit langem aber schon zu stocken schien, wie der Freund bei
seinen immer seltener wer- denden Besuchen klagte. So arbeitete er sich
in der Fremde nutzlos ab, der fremdartige Vollbart verdeckte nur
schlecht das seit den Kinderjahren wohlbekannte Gesicht, dessen gelbe
Hautfarbe auf eine sich entwik- kelnde Krankheit hinzudeuten schien.
Wie er erzählte, hatte er keine rechte Verbindung mit der dortigen
Kolo- nie seiner Landsleute, aber auch fast keinen gesellschaft- lichen
Verkehr mit einheimischen Familien und richtete sich so für ein
endgültiges Junggesellentum ein. Was wollte man einem solchen
Manne schreiben, der sich offenbar verrannt hatte, den man bedauern,
dem man aber nicht helfen konnte. Sollte man ihm vielleicht raten,
wieder nach Hause zu kommen, seine Existenz hierher zu verlegen, alle
die alten freundschaftlichen Be- ziehungen wieder aufzunehmen –
wofür ja kein Hinder- nis bestand – und im übrigen auf
die Hilfe der Freunde zu vertrauen? Das bedeutete aber nichts anderes,
als daß man ihm gleichzeitig, je schonender, desto
kränkender, sagte, daß seine bisherigen Versuche
mißlungen seien, daß er endlich von ihnen ablassen solle,
daß er zurück- kehren und sich als ein für immer
Zurückgekehrter von allen mit großen Augen anstaunen lassen
müsse, daß nur seine Freunde etwas verstünden und
daß er ein altes Kind sei und den erfolgreichen, zu Hause
gebliebenen Freunden einfach zu folgen habe. Und war es dann noch
sicher, daß alle die Plage, die man ihm antun müßte,
einen Zweck hätte? Vielleicht gelang es nicht einmal, ihn
überhaupt nach Hause zu bringen – er sagte ja selbst,
daß er die Verhältnisse in der Heimat nicht mehr ver-
stünde –, und so bliebe er dann trotz allem in seiner
Fremde, verbittert durch die Ratschläge und den Freun- den noch
ein Stück mehr entfremdet. Folgte er aber wirklich dem Rat und
würde hier – natürlich nicht mit Absicht, aber durch
die Tatsachen – niedergedrückt, fän- de sich nicht in
seinen Freunden und nicht ohne sie zurecht, litte an Beschämung,
hätte jetzt wirklich keine Heimat und keine Freunde mehr; war es
da nicht viel besser für ihn, er blieb in der Fremde, so wie er
war? Konnte man denn bei solchen Umständen daran denken, daß
er es hier tatsächlich vorwärts bringen würde?
       Aus diesen Gründen konnte
man ihm, wenn man überhaupt noch die briefliche Verbindung
aufrecht er- halten wollte, keine eigentlichen Mitteilungen machen, wie
man sie ohne Scheu auch den entferntesten Bekann- ten geben würde.
Der Freund war nun schon über drei Jahre nicht in der Heimat
gewesen und erklärte dies sehr notdürftig mit der
Unsicherheit der politischen Verhält- nisse in Rußland, die
demnach also auch die kürzeste Abwesenheit eines kleinen
Geschäftsmannes nicht zulie- ßen, während
hunderttausende Russen ruhig in der Welt herumfuhren. Im Laufe dieser
drei Jahre hatte sich aber gerade für Georg vieles verändert.
Von dem Todesfall von Georgs Mutter, der vor etwa zwei Jahren erfolgt
war und seit welchem Georg mit seinem alten Vater in gemeinsamer
Wirtschaft lebte, hatte der Freund wohl noch erfahren und sein Beileid
in einem Brief mit einer Trockenheit ausgedrückt, die ihren Grund
nur darin ha- ben konnte, daß die Trauer über ein solches
Ereignis in der Fremde ganz unvorstellbar wird. Nun hatte aber Georg
seit jener Zeit, so wie alles andere, auch sein Ge- schäft mit
größerer Entschlossenheit angepackt. Viel- leicht hatte ihn
der Vater bei Lebzeiten der Mutter da- durch, daß er im
Geschäft nur seine Ansicht gelten las- sen wollte, an einer
wirklichen eigenen Tätigkeit gehin- dert. Vielleicht war der Vater
seit dem Tode der Mutter, trotzdem er noch immer im Geschäft
arbeitete, zurück- haltender geworden, vielleicht spielten –
was sogar sehr wahrscheinlich war – glückliche Zufälle
eine weit wich- tigere Rolle, jedenfalls aber hatte sich das
Geschäft in diesen zwei Jahren ganz unerwartet entwickelt. Das
Per- sonal hatte man verdoppeln müssen, der Umsatz sich
verfünffacht, ein weiterer Fortschritt stand zweifellos bevor.
      Der Freund aber hatte keine Ahnung
von dieser Ver- änderung. Früher, zum letztenmal vielleicht
in jenem Beileidsbrief, hatte er Georg zur Auswanderung nach
Rußland überreden wollen und sich über die Aussichten
verbreitet, die gerade für Georgs Geschäftszweig in Pe-
tersburg bestanden. Die Ziffern waren
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