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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten
Autoren: Franz Kafka
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
    che Angelegenheit wie ein Klaviertransport (Fortepia-
    no!), die selbst ganzen Familien Schwierigkeiten macht
    und das schwache Mädchen! Wie viel Selbständigkeit
    und Entschiedenheit gehört dazu!
    Ich frage sie nach ihrem Haushalt. Sie wohnt mit zwei 
    Freundinnen, abends kau eine von ihnen das Nacht-
    mahl in einem Delikatessengeschä, sie unterhalten sich
    sehr gut und lachen viel. Daß das alles bei Petroleumbe-
    leuchtung geschieht, kommt mir, als ich es höre, merk-
    würdig vor, aber ich will es ihr nicht sagen. Offenbar 
    liegt ihr auch an dieser schlechten Beleuchtung nichts,
    denn bei ihrer Energie könnte sie von ihrer Wirtin gewiß
    [  ]
    auch eine bessere erzwingen, wenn es ihr einmal ein-
    fiele.
    Da sie im Laufe des Gespräches alles vorzeigen muß,
    was sie in ihrem Täschchen hat, sehn wir auch eine Me-
     dizinflasche mit irgend etwas Abscheulichem Gelbem
    drin. Jetzt erst erfahren wir, daß sie nicht ganz gesund
    ist, sogar lange krank gelegen ist. Und nachher war sie
    noch sehr schwach. Damals hat ihr der Chef selbst gera-
    ten (so anständig ist man gegen sie), nur halbe Tage ins
     Bureau zu kommen. Jetzt geht es ihr besser, sie muß
    aber dieses Eisenpräparat nehmen. Ich rate ihr, es lieber
    zum Fenster hinauszuschütten. Sie stimmt zwar leicht
    zu (denn das Zeug schmeckt elend), ist aber nicht zum
    Ernst zu bringen, trotzdem ich, näher zu ihr vorgebeugt
     als jemals, meine gerade darin so klaren Ansichten über
    eine naturgemäße Behandlung des menschlichen Orga-
    nismus darlegen will, und zwar in der aufrichtigen
    Absicht, ihr zu helfen oder zumindest dieses unberatene
    Mädchen vor Schaden zu bewahren, und mich so wenig-
     stens für einen Augenblick lang als glücklichen Zufall
    dieses Mädchens fühle. – Als sie nicht auört zu lachen,
    breche ich ab. Geschadet hat mir auch, daß Samuel wäh-
    rend meiner ganzen Rede mit dem Kopf gewackelt hat.
    Ich kenne ihn ja. Er glaubt an die Ärzte und hält die
     Naturheilmethode für lächerlich. Ich verstehe das sehr
    gut: er hat nie einen Arzt gebraucht und daher nie ernst-
    liche selbständige Gedanken über diese Sache gehabt,
    [  ]
    kann beispielsweise dieses ekelhae Präparat gar nicht
    auf sich beziehn. – Wäre ich mit dem Fräulein allein
    gewesen, so hätte ich sie schon überzeugt. Denn: wenn
    ich in dieser Sache nicht Recht habe, habe ich es in
    keiner!
    
    Die Ursache ihrer Blutarmut ist mir ja von allem An-
    fang an klar gewesen. Das Bureau. Man kann ja wie alles
    auch das Bureauleben als etwas Scherzhaes empfinden
    (und dieses Mädchen empfindet es ehrlich so, ist ja voll-
    ständig getäuscht), aber im Wesen, in den unglücklichen 
    Folgen!? – Ich weiß ja, woran ich z. B. bin. Und jetzt soll
    gar ein Mädchen im Bureau sitzen, der Frauenrock ist
    gar nicht dazu gemacht, wie muß er sich überall span-
    nen, um dauernd, stundenlang auf einem harten Holz-
    sessel sich hin- und herzuschieben. Und so werden diese 
    runden Popos gedrückt, und zugleich die Brust an der
    Schreibtischkante. – Übertrieben? – Ein Mädchen im
    Bureau ist mir doch jedesmal ein trauriger Anblick.
    Samuel ist schon ziemlich intim mit ihr geworden. Er
    hat sie sogar, was ich eigentlich nie gedacht hätte dazu 
    gebracht, mit uns in den Speisewagen zu gehn. In diesen
    Waggon zwischen fremde Passagiere treten wir schon
    mit einer geradezu unglaublichen Zusammengehörigkeit
    ein, alle drei. Das muß man sich merken, daß man
    zur Verstärkung der Freundscha eine neue Umgebung 
    aufsuchen soll. Ich sitze jetzt sogar neben ihr, wir trin-
    ken Wein, unsere Arme berühren einander, unsere ge-
    [  ]
    meinsame Ferienfreude macht wirklich eine Familie aus
    uns.
    Dieser Samuel hat sie trotz ihres lebhaen und durch
    den Regenguß unterstützten Sträubens überredet, den
     halbstündigen Aufenthalt in München zu einer Auto-
    fahrt zu benützen. Während er ein Auto holt, sagt sie zu
    mir in der Bahnhofsarkade, und sie nimmt mich dabei
    beim Arm: „Bitte, verhindern Sie diese Fahrt. Ich darf
    nicht mit. Es ist ganz ausgeschlossen. Ich sage es Ihnen,
     weil ich zu Ihnen Vertrauen habe. Mit Ihrem Freund
    kann man ja nicht reden. Er ist so verrückt!“ – Wir
    steigen ein, mir ist das Ganze peinlich, es erinnert mich
    auch genau an das Kinematographenstück „Die weiße
    Sklavin“, in dem die unschuldige Heldin gleich am
    
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