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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten
Autoren: Franz Kafka
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Gnaden? Wie redest Du?“
    Wir durchstießen den Abend mit dem Kopf. Es gab
    [  ]
    keine Tages- und keine Nachtzeit. Bald rieben sich unse-
    re Westenknöpfe aneinander wie Zähne, bald liefen wir
    in gleichbleibender Entfernung, Feuer im Mund, wie
    Tiere in den Tropen. Wie Kürassiere in alten Kriegen,
    stampfend und hoch in der Lu, trieben wir einander 
    die kurze Gasse hinunter und mit diesem Anlauf in den
    Beinen die Landstraße weiter hinauf. Einzelne traten in
    den Straßengraben, kaum verschwanden sie vor der
    dunklen Böschung, standen sie schon wie fremde Leute
    oben auf dem Feldweg und schauten herab.
    
    „Kommt doch herunter!“ – „Kommt zuerst herauf!“
    – „Damit Ihr uns herunterwerfet, fällt uns nicht ein, so
    gescheit sind wir noch.“ – „So feig seid Ihr, wollt Ihr
    sagen. Kommt nur, kommt!“ – „Wirklich? Ihr? Gerade
    Ihr werdet uns hinunterwerfen? Wie müßtet Ihr aus- 
    sehen?“
    Wir machten den Angriff, wurden vor die Brust gesto-
    ßen und legten uns in das Gras des Straßengrabens, fal-
    lend und freiwillig. Alles war gleichmäßig erwärmt, wir
    spürten nicht Wärme, nicht Kälte im Gras, nur müde 
    wurde man.
    Wenn man sich auf die rechte Seite drehte, die Hand
    unters Ohr gab, da wollte man gerne einschlafen. Zwar
    wollte man sich noch einmal aufraffen mit erhobenem
    Kinn, dafür aber in einen tieferen Graben fallen. Dann 
    wollte man, den Arm quer vorgehalten, die Beine schief-
    geweht, sich gegen die Lu werfen und wieder bestimmt
    [  ]
    in einen noch tieferen Graben fallen. Und damit wollte
    man gar nicht auören.
    Wie man sich im letzten Graben richtig zum Schlafen
    aufs äußerste strecken würde, besonders in den Knien,
     daran dachte man noch kaum und lag, zum Weinen auf-
    gelegt, wie krank auf dem Rücken. Man zwinkerte,
    wenn einmal ein Junge, die Ellbogen bei den Hüen,
    mit dunklen Sohlen über uns von der Böschung auf die
    Straße sprang.
     Den Mond sah man schon in einiger Höhe, ein Post-
    wagen fuhr in seinem Licht vorbei. Ein schwacher Wind
    erhob sich allgemein, auch im Graben fühlte man ihn,
    und in der Nähe fing der Wald zu rauschen an. Da lag
    einem nicht mehr soviel daran, allein zu sein.
     „Wo seid Ihr?“ – „Kommt her!“ – „Alle zusam-
    men!“ – „Was versteckst Du Dich, laß den Unsinn!“ –
    „Wißt Ihr nicht, daß die Post schon vorüber ist?“ –
    „Aber nein! Schon vorüber?“ – „Natürlich, während Du
    geschlafen hast, ist sie vorübergefahren.“ – „Ich habe
     geschlafen? Nein so etwas!“ – „Schweig nur, man sieht es
    Dir doch an.“ – „Aber ich bitte Dich.“ – „Kommt!“
    Wir liefen enger beisammen, manche reichten einan-
    der die Hände, den Kopf konnte man nicht genug hoch
    haben, weil es abwärts ging. Einer schrie einen indiani-
     schen Kriegsruf heraus, wir bekamen in die Beine einen
    Galopp wie niemals, bei den Sprüngen hob uns in den
    Hüen der Wind. Nichts hätte uns aualten können;
    [  ]
    wir waren so im Laufe, daß wir selbst beim Überho-
    len die Arme verschränken und ruhig uns umsehen
    konnten.
    Auf der Wildbachbrücke blieben wir stehn; die weiter
    gelaufen waren, kehrten zurück. Das Wasser unten 
    schlug an Steine und Wurzeln, als wäre es nicht schon
    spät abend. Es gab keinen Grund dafür, warum nicht
    einer auf das Geländer der Brücke sprang.
    Hinter Gebüschen in der Ferne fuhr ein Eisenbahnzug
    heraus, alle Coupees waren beleuchtet, die Glasfenster 
    sicher herabgelassen. Einer von uns begann einen Gas-
    senhauer zu singen, aber wir alle wollten singen. Wir
    sangen viel rascher als der Zug fuhr, wir schaukelten die
    Arme, weil die Stimme nicht genügte, wir kamen mit
    unseren Stimmen in ein Gedränge, in dem uns wohl war. 
    Wenn man seine Stimme unter andere mischt, ist man
    wie mit einem Angelhaken gefangen.
    So sangen wir, den Wald im Rücken, den fernen Rei-
    senden in die Ohren. Die Erwachsenen wachten noch im
    Dorfe, die Mütter richteten die Betten für die Nacht.
    
    Es war schon Zeit. Ich küßte den, der bei mir stand,
    reichte den drei Nächsten nur so die Hände, begann den
    Weg zurückzulaufen, keiner rief mich. Bei der ersten
    Kreuzung, wo sie mich nicht mehr sehen konnten, bog
    ich ein und lief auf Feldwegen wieder in den Wald. Ich 
    strebte zu der Stadt im Süden hin, von der es in unserem
    Dorfe hieß:
    [  ]
    „Dort sind Leute!
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