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Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Hussa!
    Nachdem ich auch zur nächsten Schnulze mit Zsófia getanzt habe, knutschen wir aus Versehen. Sofort sehe ich mich von ein paar aufgebrachten Brüdern umringt und tanze lieber mal eine Runde allein, während sich Zsófia einen Bruder nach dem anderen vorknöpft und zur Sau macht. Als sie fertig ist, kommt sie wieder zu mir zurück. Ich gratuliere ihr von ganzem Herzen zu ihrer großen, tollen Familie, die so gut auf sich aufpasst und Konflikte gleich austrägt.
    Wegen der Knutscherei mit Zsófia soll ich János ein paar Stunden später versprechen, dass ich seine Schwester heirate, »wegen der Ehre und so«. In meinem Zustand hätte ich ihm auch versprochen, dass ich mein ganzes Geld der ungarischen Zweigstelle von Pro Familia spende.
    Bevor ich János mein Wort geben kann, erklärt er mir, dass ich vorab mit ihm und den anderen Geschwistern von Zsófia um die Wette trinken müsse, eine ungarische Tradition, »wegen der Ehre und so«. Ich komme bis zum zweiten Bruder. Danach liege ich plötzlich auf dem Boden. Jetzt tanzen auch die Wände. Ich sehe Nadines besorgtes Gesicht und fühle, wie mich starke Hände packen und in mein Auto tragen. Langsam gewöhne ich mich an diese Art der Fortbewegung und öffne nur kurz die Augen, um sicherzugehen, dass es nicht Mr. Perfect ist, der mich da trägt. Nein, es sind Herr Béla und sein Bruder János. Als ich mich bei Zsófia darüber beschweren möchte, dass ich nicht in mein Zimmer gebracht werde, drückt sie mir ein Bier in die Hand (»Für den Durst!«) und wünscht mir eine gute Reise.
    Alles Weitere erlebe ich wie im Traum. Herr Béla und János setzen mich auf die Beifahrerseite, kurbeln den Sitz ganz nach hinten und werfen eine Wasserflasche auf den Rücksitz. Herr Béla sagt mir, dass ich abgeschleppt werde. János lacht schallend. Wie durch eine dicke Suffmauer höre ich Fragmente, die keinen echten Sinn ergeben, wie »Budapest«, »Autozug«, »zwölf Stunden«, »Innsbruck« und »nicht aussteigen«. Aber die Béla-Männer lächeln die ganze Zeit vertrauensvoll. Mein Mund ist zu trocken, die Spucke besteht nur aus Schaum, ich trinke noch einen Schluck Bier.
    Dabei fällt mir ein, dass ich mich gar nicht von Nadine verabschiedet habe. Ich will noch einmal aussteigen, aber ich habe keinen Schlüssel, und der Wagen ist schon abgesperrt. Vor mir parkt jetzt auch ein Auto, es steht etwas schräg mit angehobenem Heck auf einem Autolaster, genau wie ich. Die Landschaft fährt draußen vorbei. Erschöpft von dem langen Tag und der anstrengenden Fahrt, lehne ich mich zurück und schließe die Augen. Ich träume, dass mein Wagen Zug fährt. Bis Innsbruck.

Wie neu geboren
    Irgendjemand hat dem verrückten Männchen auf dem Hotelschild einen Ziegenbart ans Kinn und einen Speer in die Hand gezeichnet. Jetzt sieht es aus wie ein bekiffter Medizinmann bei seinem letzten Tanz. Auf dem Weg hierher habe ich nur eine Pause eingelegt, um zu tanken und mir den »Münchner« mit Annes Titelgeschichte zu holen. Seitdem liegt er auf dem Beifahrersitz und erinnert mich an den Tiefpunkt meiner Karriere und meines Junggesellendaseins.
    Der Parkplatz des Familienhotels »Zum Wilden Mannle« ist so gut wie verwaist, die Lobby auch: Disneyland nach dem Supergau. Jeannie räumt gerade Ordner in Umzugskartons.
    »Wie schön, Sie zu sehen. Sie müssen unbedingt auschecken!« Mit so einer Begrüßung hatte ich, offen gesagt, nicht gerechnet. Jetzt kommt auch Frau Sommer aus dem kleinen Büro, das an die Rezeption anschließt. Sie erzählt mir, dass sich Herr Schade bereits mit dem Management der Wellnesskette »Relaxation de luxe« auf einen Verkaufspreis für das »Wilde Mannle« geeinigt hat und das Hotel nun so schnell wie möglich von allem befreien will, was auch nur im Entferntesten an Familie erinnert – Gäste inbegriffen. Wer vorgebucht hat, wird wahlweise ausbezahlt oder mit einem Aufenthalt in einem der anderen Häuser der Kette entschädigt.
    »Ach ja!« Frau Sommer gebietet mir mit ausgestrecktem Zeigefinger, zu warten und verschwindet in ihr Büro. Sekunden später kommt sie mit einer Art Schlumpf wieder. Erst als ich genauer hinsehe, erkenne ich ein winziges Plastikbaby, das die Arme ausstreckt.
    »Hier, Ihr Teilnahmebubsi«, verkündet sie. »Für Platin hat es nicht gereicht. Für die anderen Metalle auch nicht.« Sie streckt die Hand aus, ich schüttele sie. Dann übergibt sie mir die kleine Figur. Frau Sommers Blick fällt auf die Ausgabe des »Münchners« mit Annes
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