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Drei Wunder (German Edition)

Drei Wunder (German Edition)

Titel: Drei Wunder (German Edition)
Autoren: Alexandra Bullen
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Olivia ging langsam die schiefen Stufen der Treppe hinauf.
    Violets Tür zum Flur stand offen, und Olivia konnte einen kühlen Luftzug an ihrer Nasenspitze spüren. Er kam wohl von den Fenstern, die sie am Morgen geöffnet hatte. Sie war beinahe am Ende des Flurs angelangt, als sie etwas hörte, das ihr so fremd geworden war, dass sie auf der Stelle stehen blieb.
    Der kurze, abgehackte Bariton.
    Ein helles Lachen.
    Sie machte noch einen vorsichtigen Schritt und spähte um die Ecke.
    Dort, zwischen den Erkerfenstern in Violets Zimmer, saßen Olivias Eltern, den Inhalt offener Kisten um sich ausgebreitet. Und sie lachten.
    Mac, dessen breite Schultern gegen die eingebaute Bank lehnten, sah Olivia zuerst. Ihre Blicke begegneten sich, und Olivia bemerkte sofort, dass seine Augen voller Tränen standen. Olivia zögerte in der Türöffnung, ihre Tasche rutschte an ihrem Arm entlang nach unten und landete auf dem Boden.
    »Hi«, sagte sie unsicher und kam sich wie ein Eindringling vor.
    Bridget drehte sich zu ihr um, ihr Eyeliner war verschmiert. »Wir haben gerade Violets Sachen durchgesehen«, sagte sie leise. »Wir dachten, es ist vielleicht Zeit, manches davon wegzugeben.«
    Olivia lehnte sich an den Türrahmen, halb aus Trotz und halb, weil sie plötzlich aus dem Gleichgewicht kam.
    Mac räusperte sich und stützte sich ab, um aufzustehen. »Und ich habe endlich die Bücherregale fertig, an denen ich gearbeitet habe«, sagte er und kam langsam auf Olivia zu. »Ich dachte, dass ich die später hier aufstelle. Wir könnten das Zimmer zu einer Bibliothek machen. Aber natürlich gehört das Zimmer vor allem dir, wenn du es möchtest.«
    Olivia merkte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
    »Liebes«, sagte Mac, streckte den Arm aus und drückte ihr sanft den Arm »Es tut uns wirklich leid, dass du dich so allein gefühlt hast. Aber du musst wissen, dass es für uns auch sehr schwer war.«
    Bevor sie noch etwas dagegen tun konnte, stieg eine heiße Welle von Wut in Olivia auf, und sie hob den Blick und sah in die hoffungsvollen Augen ihrer Eltern.
    »Schwer?«, wiederholte sie leise, und schon rollte ihr eine Träne die Wange herunter. »Aber alles, was ihr macht, ist arbeiten! Ihr habt nicht ein einziges Mal über sie geredet.«
    Bridget sah zum Fenster, eine einzelne Träne tropfte von ihrem Kinn. Mac räusperte sich noch einmal und trat einen Schritt zurück.
    »Und wisst ihr was? All dieses Arbeiten und Funktionieren?« Olivias Stimme war hoch und überschlug sich, die Tränen quollen jetzt in Strömen aus ihren brennenden Augen. »Es funktioniert bei mir nicht.«
    Olivias Blick huschte zwischen ihren Eltern hin und her, bevor sie die Hände vors Gesicht schlug, die Wand hinabrutschte und dumpf auf dem Boden aufkam.
    Ihr Vater kauerte sich neben sie – wie immer roch er nach Sägespänen und Aftershave – und zog ihren Kopf an seine Schulter, genau wie er es immer gemacht hatte, als sie noch klein war. Zu erschöpft, um weiter zu streiten, schluchzte Olivia in sein Sweatshirt.
    »Wir vermissen sie doch auch, Liebes«, murmelte Mac in ihre Haare.
    Olivia spürte eine warme Hand, die sie streichelte, und Bridgets Stimme, die Macs Worte leise wiederholte.
    »Wir vermissen sie jeden Tag«, sagte Bridget.
    Olivia schob beide Eltern weg und setzte sich zurück gegen die Wand, wischte mit den beiden Handrücken über ihre Wangen. »Wirklich?«, schniefte sie.
    Bridget streckte die Hand aus und strich ein paar klebrige Locken von Olivias feuchten Wangen. »Ach Olivia«, antwortete ihre Mutter leise. »Jeden Morgen, wenn ich aufwache, denke ich als Allererstes an deine Schwester.«
    »Ich rede mit ihr. Jede Nacht, bevor ich einschlafe«, sagte Mac. Diesmal war er nicht in der Lage, die Tränen aufzuhalten, die auf seinen Ärmel tropften. Bridget griff über Olivias Schoß hinweg, nahm seine Hand und drückte sie.
    Olivia tat es im Herzen weh, ihre Eltern weinen zu sehen, aber es war die Art von Schmerz, die sich wichtig, echt und irgendwie richtig anfühlte, wie als sei man zu lange unter Wasser gewesen und käme schließlich hoch, um nach Luft zu schnappen.
    Wie sie so dasaßen, alle drei zusammengedrängt in einer Ecke des Zimmers, das Violets gewesen wäre, da wusste Olivia, dass sich etwas verändert hatte. Violet war fort, und sie würde nie mehr zurückkommen. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander, und ihre Familie wäre nie wieder die gleiche.
    Aber sie waren definitiv immer noch eine Familie.

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