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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens
Autoren: Stefan Zweig
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vor die Zeit und heischt den Triumph als sein Recht, statt ihn listig zu erschleichen. Mit Napoleon, dem Genie all dieser Talente, dringt das Abenteurertum aus dem Vorzimmer der Fürsten in den Thronsaal; er beendet, indem er ihn vollendet, den Aufstieg des Illegitimen zur Höhe der Macht und setzt dem Abenteurertum die Krone Europas aufs Haupt.
    Bildung und Begabung
     
    Man sagt, daß er ein Literat sei, aber mit einem an Kabalen reichen Geist, daß er in England und Frankreich gewesen ist, bei Kavalieren und Frauen
    unerlaubte Vorteile zog, da es immer seine Art war, auf Kosten anderer zu leben und leichtgläubige Leute für sich einzunehmen ... wenn man mit besagtem Casanova sich vertraut macht, sieht man in ihm Unglauben, Betrug, Unzucht und Wollüstigkeit in schreckenserregender Art vereint.
Geheimbericht der Venezianischen Inquisition 1755
     
    Niemals leugnet Casanova, Abenteurer gewesen zu sein, im Gegenteil, mit vollen Backen rühmt er sich stolz, lieber den Narrenfänger als den Genarrten, lieber den Pelzscherer als den Geschorenen gespielt zu haben in einer Welt, die, wie schon der Lateiner weiß, allzeit gerne betrogen sein will. Aber nur eines lehnt er strikte ab, deshalb schon verwechselt zu werden mit den Galeerenbrüdern und Galgenschlingeln, die grob und geradeheraus die Taschen plündern, statt kultiviert und elegant den Dummen das Geld aus den Händen zu zaubern. Immer klopft er sich in den Memoiren sorgfältig den Mantel
    ab, wenn er eine Begegnung (und in Wahrheit Halbpartkompanie) mit den Falschspielern Afflisio oder Talvis zugestehen muß, denn obwohl er und sie sich da auf gleicher Ebene begegnen, so kommen sie doch aus anderen Welten, Casanova von oben, aus der Kultur, und jene von unten, aus dem Nichts. Genauso, wie der ehemalige Student, Schillers ethischer Räuberhauptmann Karl Moor, seine Spießgesellen Spiegelberg und Schufterle verachtet, weil sie als rüdes undblutiges Handwerk treiben, was ihn ein verkehrt getriebener Enthusiasmus ergreifen ließ, so sondert sich auch Casanova immer energisch von dem Falschspielergesindel ab, das dem herrlichen, dem göttlichen Abenteurertum allen Adel und Anstand nimmt. Denn tatsächlich, eine Art Edelmannstitel fordert unser Freund Giacomo für die Abenteurerei, als eine sehr subtile Kunst will er die Komödiantenfreude des Scharlatans gewertet wissen. Hört man ihm zu, so bleibt dem Philosophen auf Erden keine andere sittliche Pflicht, als sich weidlich auf Kosten aller Dummen zu amüsieren, die Eitlen zu düpieren, die Einfältigen zu prellen, die Geizigen zu erleichtern, die Ehemänner zum Hahnrei zu machen, ja kurzweg als Abgesandter der göttlichen Gerechtigkeit alle Narrheit dieser Erde zu bestrafen. Betrug ist für ihn nicht nur Kunst, sondern eine übermoralische Pflicht, und er übt sie, dieser wackere Prinz Vogelfrei, mit blühweißem Gewissen und einer unvergleichlichen Selbstverständlichkeit.
    Und wirklich, dies darf man Casanova glauben, daß er nicht bloß aus Geldnot und Arbeitsfaulheit Abenteurer geworden ist, sondern aus eingeborenem Temperament, aus unaufhaltsamem Genie. Von Vater und Mutter her mit Schauspielertum belastet, macht er sich die ganze Welt zur Bühne und Europa zur Kulisse; Bluffen, Blenden, Düpieren und Narren ist ihm wie weiland Eulenspiegel eine blutnatürliche Funktion, und er könnte
    nicht leben ohne die Karnevalsfreude an Maske und Spaß. Hundertmal hat er Gelegenheit, in brave Berufe sich einzupassen, aber keine Versuchung kann ihn halten, keine Lockung ihn im Bürgerlichen heimisch machen. Schenkt ihm Millionen, bietet ihm Amt und Würde, er wird sie nicht nehmen, sondern immer wieder zurückflüchten in sein urtümliches, heimatloses, flügelleichtes Element. So steht es ihm Rechtens zu, sich von den andern Glücksrittern mit einem gewissen Hochmut zu unterscheiden. Messer Casanova ist immerhin ehelich geboren und aus leidlich achtbarer Familie, seine Mutter, »la buranella« genannt, eine berühmte Cantatrice, die auf allen Opernbühnen Europas exzelliert, seines Bruders Francesco Namen findet man in jeder Kunstgeschichte und seine großen Schlachtenschinken noch heute in allen Galerien der Christenheit. Alle seine Verwandten betreiben hochanständige Berufe, tragen die respektable Toga des Advokaten, des Notars, des Priesters– man sieht also, er kommt durchaus nicht aus der Gosse, unser Casanova, sondern aus der gleichen künstlerisch angefärbten Bürgerschicht wie Mozart und Beethoven. Genau wie
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