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Dramen

Titel: Dramen
Autoren: Frank Wedekind
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Mit den zierlichen Füßen strampelte sie Kriegserklärungen und Todesurteile. Da wurde sie eines Tages von einem Könige besiegt, der zufällig zwei Köpfe hatte, die sich das ganze Jahr in den Haaren lagen und dabei so aufgeregt disputierten, daß keiner den andern zu Wort kommen ließ. Der Oberhofzauberer nahm nun den kleineren der beiden und setzte ihn der Königin auf. Und siehe, er stand ihr vortrefflich. Darauf heiratete der König die Königin, und die beiden lagen einander nun nicht mehr in den Haaren, sondern küßten einander auf Stirn, auf Wangen und Mund und lebten noch lange Jahre glücklich und in Freuden… Verwünschter Unsinn! Seit den Ferien kommt mir die kopflose Königin nicht aus dem Kopf. Wenn ich ein schönes Mädchen sehe, sehe ich es ohne Kopf – und erscheine mir dann plötzlich selber als kopflose Königin… Möglich, daß mir noch mal einer aufgesetzt wird.
    Frau Gabor kommt mit dem dampfenden Tee, den sie vor Moritz und Melchior auf den Tisch setzt.
    Frau Gabor
    Hier, Kinder, laßt es euch munden. Guten Abend, Herr Stiefel; wie geht es Ihnen?
    Moritz
    Danke, Frau Gabor. – Ich belausche den Reigen dort unten.
    Frau Gabor
    Sie sehen aber gar nicht gut aus. – Fühlen Sie sich nicht wohl?
    Moritz
    Es hat nichts zu sagen. Ich bin die letzten Abende etwas spät zu Bett gekommen.
    Melchior
    Denke dir, er hat die ganze Nacht durchgearbeitet.
    Frau Gabor
    Sie sollten so etwas nicht tun, Herr Stiefel. Sie sollten sich schonen. Bedenken Sie Ihre Gesundheit. Die Schule ersetzt Ihnen die Gesundheit nicht. – Fleißig spazierengehn in der frischen Luft! Das ist in Ihren Jahren mehr wert als ein korrektes Mittelhochdeutsch.
    Moritz
    Ich werde fleißig spazierengehn. Sie haben recht. Man kann auch während des Spazierengehens fleißig sein. Daß ich noch selbst nicht auf den Gedanken gekommen! – Die schriftlichen Arbeiten müßte ich immerhin zu Hause machen.
    Melchior
    Das Schriftliche machst du bei mir; so wird es uns beiden leichter. – Du weißt ja, Mama, daß Max von Trenk am Nervenfieber darniederlag! – Heute mittag kommt Hänschen Rilow von Trenks Totenbett zu Rektor Sonnenstich, um anzuzeigen, daß Trenk soeben in seiner Gegenwart gestorben sei. – »So?« sagt Sonnenstich, »hast du von letzter Woche her nicht noch zwei Stunden nachzusitzen? – Hier ist der Zettel an den Pedell. Mach, daß die Sache endlich ins reine kommt! Die ganze Klasse soll an der Beerdigung teilnehmen.« – Hänschen war wie gelähmt.
    Frau Gabor
    Was hast du da für ein Buch, Melchior?
    Melchior
    »Faust«.
    Frau Gabor
    Hast du es schon gelesen?
    Melchior
    Noch nicht zu Ende.
    Moritz
    Wir sind gerade in der Walpurgisnacht.
    Frau Gabor
    Ich hätte an deiner Stelle noch ein, zwei Jahre damit gewartet.
    Melchior
    Ich kenne kein Buch, Mama, in dem ich so viel Schönes gefunden. Warum hätte ich es nicht lesen sollen?
    Frau Gabor
    – Weil du es nicht verstehst.
    Melchior
    Das kannst du nicht wissen, Mama. Ich fühle sehr wohl, daß ich das Werk in seiner ganzen Erhabenheit zu erfassen noch nicht imstande bin…
    Moritz
    Wir lesen immer zu zweit; das erleichtert das Verständnis außerordentlich!
    Frau Gabor
    Du bist alt genug, Melchior, um wissen zu können, was dir zuträglich und was dir schädlich ist. Tu, was du vor dir verantworten kannst. Ich werde die erste sein, die es dankbar anerkennt, wenn du mir niemals Grund gibst, dir etwas vorenthalten zu müssen. – Ich wollte dich nur darauf aufmerksam machen, daß auch das Beste nachteilig wirken kann, wenn man noch die Reife nicht besitzt, um es richtig aufzunehmen. – Ich werde mein Vertrauen immer lieber in dich als in irgendbeliebige erzieherische Maßregeln setzen. – – Wenn ihr noch etwas braucht, Kinder, dann komm herüber, Melchior, und rufe mich. Ich bin auf meinem Schlafzimmer.
(Ab)
    Moritz
    Deine Mama meinte die Geschichte mit Gretchen.
    Melchior
    Haben wir uns auch nur einen Moment dabei aufgehalten!
    Moritz
    Faust selber kann sich nicht kaltblütiger darüber hinweggesetzt haben!
    Melchior
    Das Kunstwerk gipfelt doch schließlich nicht in dieser Schändlichkeit! – Faust könnte dem Mädchen die Heirat versprochen, könnte es daraufhin verlassen haben, er wäre in meinen Augen um kein Haar weniger strafbar. Gretchen könnte ja meinethalben an gebrochenem Herzen sterben. – Sieht man, wie jeder darauf immer gleich krampfhaft die Blicke richtet, man möchte glauben, die ganze Welt drehe sich um P… und V…!
    Moritz
    Wenn ich aufrichtig
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