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Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)

Titel: Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
Autoren: Stephanie Reimertz
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durchzogen gewesen. Er trug die gestreifte Weste des Butlers.
    »Herr Doktor, das Frühstück wäre angerichtet.«
    Am Konjunktiv erkannte ich den Österreicher, aber stärker noch schlug mir das Wort angerichtet gegen den Kopf.
    Als ich vollends erwachte, schoß es mir durch den Sinn. Ich hatte der Fürstin gestern versprochen, sie heute zu behandeln und von ihrem Leiden zu heilen. Woher ich die Gewißheit nahm, daß dies gelingen könnte, weiß ich nicht. Als ich ganz wach war, kam es mir vor, als hätte ich gestern meinen Kopf verpfändet, als sei der Tag, der bläulich durchs Fenster fiel, mein letzter. Jeder der Versprechungen gemacht und sie nicht eingehalten hat, sei es in der Geschichte, sei es im Märchen, mußte dafür einen hohen Preis zahlen. Wenn wir inzwischen auch in einer Zeit leben, in der Versprechen nichts mehr gelten, so wußte ich doch, daß Unverbindlichkeit, ja daß alle Flüchtigkeit unserer Epoche auf der Temeschburg keine Gültigkeit hatte. Hier bezahle man.
    Ich hatte der Fürstin versprochen, sie zu heilen und wußte schon in dem Moment, da ich es aussprach, daß mich dies Gelöbnis teuer zu stehen kommen würde. Ich müßte mit meinem Kopf blechen, wo andere bei dem Versuch, ihr zu helfen, etwas billiger davongekommen waren. Der Gedanke an den Zustand, in dem sich die Männer, die hierher kamen, befanden hatten, als sie die Burg wieder verließen, schlug mir trotzdem auf die Brust, schwer wie der Schlag einer riesigen Glocke.
    Während Uruquates mich lange Gänge zum Frühstück führte , als ginge es zu meiner Hinrichtung, legte sich die Sache mit der Nabelschnur um meinen Hals. Wie kam die Geschichte überhaupt ins Internet? Sollte die abartige Verzahnung der Fürstin eine hysterische Reaktion auf eine vermeintliche vorgeburtliche Schuld sein? Hier war dann weder der Frauen- noch der Zahnarzt, sondern der Theologe zuständig. Immer wieder hatte ich beobachtet, daß in deutschen Landen, wenn auch eher außerhalb Österreichs, die Vorstellung der Erbsünde bei denjenigen besonders tief verankert war, die behaupteten, jedem Glauben abgeschworen zu haben. Trotzdem hielten sie sich für schuldig an Ereignissen, die vor ihrer Geburt lagen. Dieser angeblichen Verschuldung wurde ein staatlicher Kult gewidmet, der den Charakter einer Religion angenommen hatte. Ein solcher Schuld-Kult mußte um sich greifen wie eine Epidemie. Wie sollte dann ein junges Mädchen sich nicht schuldig fühlen, wenn die Zwillingsschwester an ihrer Seite im Mutterleib gestorben war? Das Erwürgen eines Zwillings mit der Nabelschnur hielt ich aus medizinischer Sicht schwerlich für möglich. Entscheidend war jedoch, was die Fürstin glaubte. Hatte sie als Kind die Schuld in sich hineingefressen, und hatte dies ihr die Zähne verschlagen, die dann an anderer Stelle wieder auferstanden?
    Es schien ein ganz anderer Weg durch die Burg als der gestrige zu sein, den Uruquates mich führte. Keinen dieser Räume hatte ich zuvor betreten. Die eine oder andere Tür lockte mich, und ich rüttelte an der einen oder anderen Türschnalle; aber sie waren verschlossen, oder mein Führer verwehrte sie mir und sagte, daß hier Räume lägen, die kein Mensch betreten dürfe.
    Allmählich fühlte ich mich von dem Eindruck umdrängt, daß es in diesem Gemäuer mehr verschlossene als unverschlossene Türen gäbe. Ein leichter Anflug von Klaustrophobie, wie ich ihn schon in der Kindheit in Maria Elend dann und wann gespürt hatte, wollte mich wieder bedrücken. Ich schluckte diese Angst hinunter und konzentrierte mich auf das, was ich der Fürstin nach dem Frühstück sagen wollte. Zunächst mußte ich ihr jene Theologie der Geschichte ausreden, die so sehr im Schwange ist, nach der Individuen sich die Schuld an Ereignissen geben, die vor ihrer Geburt stattgefunden haben. Dies ist die große Krankheit unserer Zeit, und ich hielt es nicht für ausgeschlossen, daß die Unregelmäßigkeit der Fürstin aus eben jener Wahnvorstellung herausgewachsen war.
    Uruquates hielt mit die Tür zu einem Saal auf, der ganz mit blauer Seide ausgeschlagen war. Er enthielt eine Bildergalerie aus verschiedenen Jahrhunderten, Portraits, mythologische Darstellungen, Stilleben und Landschaften. Der Butler drängte weiter, aber ich ließ mir die Zeit, einige der Gemälde näher in Augenschein zu nehmen. Über einem Kamin, der seit Jahrhunderten nicht mehr in Betrieb gewesen zu sein schien, hing das hohe Portrait einer Dame. Ihre Schönheit übermannte mich, noch
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