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Dolph Heyliger (German Edition)

Dolph Heyliger (German Edition)

Titel: Dolph Heyliger (German Edition)
Autoren: Washington Irving
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sprang er auf das Verdeck, und im nächsten Augenblicke wurde die Fregatte durch den Wind und die Fluth in Bewegung gesetzt. Dolphs Gedanken und Gefühle waren ganz in Aufruhr und Verwirrung. Er hatte sich bei den Vorfällen, die ihm jüngst begegnet waren, kräftig benommen, und er konnte nicht anders denken, als es müsse ein gewisser Zusammenhang zwischen seiner gegenwärtigen Lage und seinem letzten nächtlichen Traume bestehen; und er tröstete sich mit einem alten Lieblingsgrundsatze, daß »ein Weg oder der andere, alle zum Besten führen«. Einen Augenblick lang ging ihm der Unwille des Doktors über seine Abreise ohne Abschied durch den Kopf, aber die Sache war ohne Bedeutung; dann dachte er an den Kummer seiner Mutter über seine ungewöhnliche Abreise, und der Gedanke versetzte ihn plötzlich in Angst; er würde gebeten haben, ihn an der Küste auszusetzen, aber er wußte, daß bei solchem Wind und solcher Fluth die Bitte vergeblich gewesen sein würde. Dann stürmte wieder die Liebe zum Neuen und zu Abenteuern in voller Fluth durch seine Seele; er fühlte sich wunderbar und plötzlich an die Welt gekettet und auf dem geraden Wege, die Gegenden und Wunder, welche über diesen mächtigen Strom und die blauen Gebirge, die seit seiner Kindheit seinen Horizont begränzt hatten, zu erforschen. Während er in diesem Strudel von Gedanken befangen war, spannten sich die Segel vom Winde, die Küsten schienen hinter ihm zu fliehen, und ehe er vollkommen wieder sich zu beherrschen vermochte, war die Schaluppe schon an Spikingdevil und an den Yonkershügeln vorbeigesegelt, und der höchste Schornstein von Manhattoes war seinen Blicken entschwunden.
    Ich habe gesagt, eine Reise auf dem Hudson sei in diesen Tagen ein Unternehmen von einiger Bedeutung gewesen; sie bedeutete ebenso viel als jetzt eine Reise nach Europa. Die Schaluppen waren oft viele Tage unterwegs; die vorsichtigen Schiffer segelten, wenn eine frische Breeze wehte, und legten Nachts vor Anker; sie hielten an, um Boote ans Land zu setzen, um Milch und Thee zu holen; ohne dieß war es den würdigen alten Damen, die mitreisten, unmöglich zu subsistiren. Da waren aber auch noch die vielbesprochenen Gefahren der Tapan Zee und die Hochlande. [Fußnote: Seeartige Erweiterung des untern Hudson. Die »Hochlande« (Highlands), großartige Gebirgsgegend am Hudson.] Kurz, ein kluger holländischer Bürger sprach sonst Monate, ja Jahre lang von einer solchen Reise und unternahm sie nie, ohne zuvor seine Geschäfte in Ordnung zu bringen, und ohne daß Gebete für ihn in den holländischen Kirchen abgehalten wurden.
    Im Verlauf einer solchen Reise war deßhalb Dolph zufrieden, hinreichende Zeit zum Nachdenken zu finden und zu überlegen, was er thun solle, wenn er in Albany ankäme. Der Kapitän mit seinem blinden Auge und seinem lahmen Beine brachte ihm seinen seltenen Traum wieder in Erinnerung und beunruhigte ihn auf einige Augenblicke; aber sein Leben hatte ihm vor Kurzem so viele Träume und Wirklichkeiten vorgeführt, seine Tage und Nächte waren so zusammengewürfelt, daß er sich immer um eine Täuschung zu drehen schien. Indessen findet sich immer eine Art flüchtigen Trostes in einem Menschen, der nichts in der Welt zu verlieren hat; damit stärkte Dolph sein Herz und beschloß, so viel als möglich die Gegenwart zu genießen.
    Am zweiten Tag ihrer Reise gelangten sie zu den Hochlanden. Es war der Rest eines ruhigen, schwülen Tages, als sie ruhig mit der Fluth zwischen diese schrecklichen Gebirge dahin schifften. Es herrschte die vollkommene Ruhe, welche sich über die Natur in den trägen und heißen Sommertagen verbreitet; das Umdrehen einer Diele, oder das zufällige Herabfallen eines Ruders auf das Verdeck tönte von der Seite der Gebirge wider und schallte längs der Küsten; und wenn zufällig der Kapitän einen Kommandoruf ertönen ließ, ahmten es luftige Zungen von jeder Klippe nach.
    Dolph sah in stiller Wonne und Bewunderung auf diese prachtvollen Naturscenen. Zur Linken erhob der Dunderberg seine waldigen Abgründe, Gipfel über Gipfel, Forst über Forst, in den tiefen Sommerhimmel. Zur Rechten starrte das Vorgebirge der Antonius-Nase mit einem einsamen, um ihn fliegenden Adler hervor, während jenseits Berg auf Berg folgte, bis sie ihre Arme zusammenzuschließen und diesen mächtigen Strom in sie zu fassen schienen. Man hatte ein ruhiges wollüstiges Gefühl, wenn man auf die breiten grünen Buchten sah, die hier und da unter den Abgründen
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