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Die Zuflucht der Drachen - Roman

Die Zuflucht der Drachen - Roman

Titel: Die Zuflucht der Drachen - Roman
Autoren: Penhaligon Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hinunter, und obwohl der Fußweg frei schien, tastete sie sich aus Angst vor versteckten Eisplatten nur vorsichtig weiter. Eine neblige Decke aus hellgrauen Wolken tauchte den kalten Tag in eintöniges Schattenlicht.
    Lässig ihren Rucksack schlenkernd spähte Kendra zu den Stellen hinüber, wo gewöhnlich ihre Leibwächter standen, und bemerkte Elise, die auf der anderen Straßenseite an einem geparkten Auto lehnte und in ein Kreuzworträtsel vertieft schien. Die Frau stellte keinen Blickkontakt her, aber Kendra wusste, dass sie insgeheim alles im Auge behielt. Elise machte den Eindruck einer Frau in den Dreißigern – schlank, mittelgroß, mit schnurgeradem Pony. Kendra fragte sich, ob Warren sie wohl hübsch fand.
    Kendra wandte sich nach links und behielt die Umgebung weiter genau im Auge. Meistens konnte sie irgendwo Warren ausmachen, aber heute gab sie sich keine allzu große Mühe, da er wahrscheinlich Seth bewachte.
    Über den Zebrastreifen eilte Kendra auf die andere Straßenseite und ging an der Bibliothek vorbei zu dem großen Freizeitzentrum. Der kastenförmige Backsteinbau beherbergte ein Schwimmbad, einen Fitnessraum, einen Basket- und drei Racketballplätze, die obligatorischen Umkleidekabinen und einen großen Kinderhort. Kendra arbeitete dort jeden Tag nach der Schule bis fünf Uhr ehrenamtlich. Es war leichte Arbeit, und gelegentlich hatte sie sogar Zeit, nebenher ein paar Hausaufgaben zu machen.
    In der nächstgelegenen Grundschule endete der Unterricht früher als in ihrer Highschool, und als Kendra in den Hort kam, malten Kinder bereits in ihren Büchern, spielten mit Bausteinen oder stritten sich um Spielzeug und liefen umher. Einige begrüßten sie an der Tür mit »Miss Sørensen«. Keines der Kinder kannte sie als Kendra.
    Rex Tanner half am anderen Ende des Raums einem sommersprossigen kleinen Jungen, Fischfutter ins Aquarium zu streuen. Rex war ein Mann in mittleren Jahren, er hatte olivbraune Haut und kam aus Brooklyn. Als Leiter des Kinderhorts sorgte er für eine äußerst entspannte Atmosphäre. Rex hatte eine natürliche, unbefangene Art, mit Kindern umzugehen. Nichts schien ihn jemals aus der Fassung zu bringen.
    Als der Junge mit den Fischen fertig war, bemerkte Rex Kendra und winkte sie herbei; sein Lächeln war breiter als gewöhnlich. Mit seinem gelockten Haar, dem dichten Schnurrbart und den leicht getönten Brillengläsern sah er immer ein wenig albern aus, fast als wäre er verkleidet. Als Kendra näher kam, roch sie, dass er sich wie gewöhnlich großzügig mit Old Spice eingenebelt hatte.
    »Hi, Rex«, sagte sie.
    »Kendra, schön, dich zu sehen, schön, dich zu sehen.« Egal ob er mit Kindern oder Erwachsenen redete – für gewöhnlich sprach Rex so, als moderiere er eine Sendung für kleine Kinder. Er rieb sich klatschend die Hände. »Wir werden heute die fünf Sinne erkunden. Ich habe mir ein sehr spannendes Spiel ausgedacht. Mal sehen, was du davon hältst.«
    Sie folgte ihm zu einem Tisch im hinteren Teil des Raums, wo fünf würfelförmige Pappkartons in einer Reihe standen. In jeden Karton war seitlich ein Loch geschnitten.
    »Soll ich fühlen, was drin ist?«, fragte Kendra.
    »Bingo«, meinte Rex. »Versuche zu erraten, was du berührst. Von links nach rechts.«
    Kendra griff in die erste Schachtel, und ihre Finger glitten über die Oberflächen kleiner, fettiger Kugeln. »Schleimige Augäpfel?«, riet sie.
    »Geschälte Weintrauben«, verkündete Rex. »Versuch es mit der nächsten.«
    Kendra griff in die zweite Schachtel. »Eingeweide?«
    »Nudeln.«
    Die dritte Schachtel enthielt Radiergummis verschiedener Größen; Kendras erster Treffer. Die vierte schien zunächst leer zu sein, dann fand sie etwas. Es fühlte sich an wie eine Kartoffel. Kendra wollte ihre Vermutung gerade kundtun, als sie einen stechenden Schmerz im Daumen spürte. Kreischend zog sie die Hand zurück. »Was war das?«, rief sie.
    »Was ist los?«, fragte Rex.
    »Lassen Sie mich raten, ein Kaktus?« Kendra lutschte an ihrem Daumen und schmeckte Blut.
    »Nah dran. Eine Kaktusfeige. Man kann sie essen. Ich hätte schwören können, dass ich alle spitzen Stacheln entfernt habe …«
    Kendra schüttelte den Kopf. »Einen haben Sie übersehen.«
    Rex blinzelte und wirkte für einen Moment beunruhigt. »Ich hole dir ein Pflaster.«
    Kendra untersuchte ihren Daumen. »Nein, es ist nur ein kleiner Stich.«
    »Vielleicht sollten wir das Spiel lieber nur mit vier Schachteln machen«, beschloss
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