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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Autoren: Roman Rausch
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hatte er eine speckige, ausgebeulte Ledertasche gehängt. Darunter kam eine teils zerrissene und notdürftig geflickte graue Kutte zum Vorschein, die mit einer Kordel um die schmale Hüfte gehalten wurde. Die Kapuze hing weit in die Stirn hinein, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Mein Blick wanderte nach unten, und ich sah bloße Füße in offenen Ledersandalen. Ziemlich abgefahren, dachte ich, als er auf Höhe meiner Bank angekommen war.
    »Pax tecum«, sagte er mit freundlicher und bestimmter Stimme, die keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Worte offen ließ. Das Haupt hielt er geneigt, und er stützte sich weiterhin auf den Wanderstab, als gelte es, die ganze Last dieser Welt zu tragen.
    »Et spiritus sanctus cum te, pater«, antwortete ich, die letzten Reste meines knappen Lateinwissens aufbietend. Ich staunte über mich selbst, wie mir diese Worte noch fließend über die Lippen gingen, hatte ich sie doch so lange nicht mehr gehört, geschweige denn gesprochen. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Alte Ministrantenzeit.
    Er blieb stehen und hob den Kopf. Aus dem Dunkel seines Gesichts blitzten zwei Augen. Ein Lächeln in diesem nun sichtbaren, wundersam zerfurchten Ledergesicht strahlte mich an. Ein Totenkopf, durchfuhr es mich. Die Zähne überraschend gepflegt und, soweit ich sehen konnte, alle vorhanden, überlagert von einer langen, markanten Nase, die wie gemeißelt zwischen hohen, hervorstehenden Wangenknochen die beherrschende Achse in seinem Gesicht bildete. Darüber schwangen sich graue Brauen nach außen, die nahtlos in das reiche, gleichfarbige Haar übergingen. So hätte Jesus wohl ausgesehen, wäre er älter als dreiunddreißig Jahre geworden.
    »Vater … schon lange hat mich niemand mehr so genannt.« Er zögerte einen Moment, wusste nicht, ob er weiterziehen sollte oder nicht, setzte sich aber dann doch zu mir.
    Mein Gott, schoss es mir die Nase hoch, und ich musste mich abwenden. Er war nicht nur abgerissen, sondern stank auch nach Diesel, Kohlenstaub und Pisse. Zudem kam er mir gefährlich nahe. Meinem persönlichen Feiertag angemessen, hatte ich einen meiner Armanis aus dem Ruhestand erlöst.
    »Wer bist du, Freund?«, fragte er.
    Dabei stützte er sich auf den Stab und lehnte sich vornüber, als wollte er mir die Beichte abnehmen. Sein Gesicht verschwand wieder hinter der Kapuze, sodass ich nur noch die Spitze seiner Nase sehen konnte.
    »Mein Name ist Kilian«, antwortete ich und schnappte über die Schulter nach frischer Luft.
    Die Kapuze bewegte sich augenblicklich.
    »Kilian? So hieß auch der Bruder, der das heilige Wort aus dem fernen Scotia nach Gallien und ins Frankenreich trug. Ein ehrenwerter Name. Im Gälischen wurde er ›Cilline‹ genannt. Er lehrte uns alles, was wir über Gott, unseren Herrn und Schöpfer, den Glauben an ihn und über das wahre Leben wissen mussten. Aus seinem Munde hättest du augenblicklich das Himmelreich vernehmen können.«
    »Das Himmelreich«, schmunzelte ich.
    »Glaubst du nicht«, fragte er mit sanfter Stimme, »an das Reich unseres Herrn und Schöpfers, das da kommen wird?«
    »Entschuldige, Vater«, unterbrach ich sofort, um eine drohende Predigt über Heil und Unheil, Gott als Richter am Jüngsten Tag und die zu erwartende Ermahnung abzuwehren, noch zu Lebzeiten den einen wahren katholischen Glauben zu praktizieren, damit ich dem Höllenschlund entginge. »Ich habe meinen Frieden mit dem Herrn, heißt er nun Jesus Christus, Mohammed, Shiva, Buddha oder Winnetou, gemacht. Keiner von ihnen kann mir vorschreiben, wie ich zu leben oder woran ich zu glauben habe. Alle waren Menschen und haben zu Lebzeiten Fehler gemacht. Da soll bloß keiner auf die Idee kommen, mir zu sagen, was richtig oder falsch ist. Und das Himmelreich, wenn es das überhaupt gibt, ist eine Veranstaltung, auf die ich gar nicht so scharf bin. Kannst du dir vorstellen, bis in alle Ewigkeit zu lächeln, keine Lust auf gutes Essen und Trinken mehr zu haben? Ganz ohne Frauen …«
    Der Bruder unterbrach mich mit lautem Lachen und warf den Kopf nach hinten, sodass seine Kapuze in den Nacken fiel und langes, gewelltes Silberhaar freilegte.
    »O Kilian«, prustete er. Das dürre Gerippe geriet gefährlich in Wallung.
    Ich verstand nicht. »Was gibt es da zu lachen?«
    Er beruhigte sich und zog die Kapuze wieder über Haar und Stirn.
    »So wie du über Gott und sein Reich sprichst, habe auch ich keine rechte Lust darauf. Glaube mir, auch ich bin ein Mensch. Aber ich
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