Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
einen Teller vor ihn hin. »Weißt du, was heute in der Zeitung stand?« sagte sie, als sie sich diskret ins Wohnzimmer zurückzog, damit auch er sich übergeben konnte. »Dieser gewalttätige Fanatiker kommt hierher, dieser Raymond Roberts. Er macht eine Pilgerfahrt.«
    »Hmm«, brummte er und genoß den Geschmack des heißen, flüssigen Kaffees, als er ihn in seinen müden Mund heraufwürgte.
    »Der Polizeichef von Los Angeles schätzt, daß vier Millio nen Menschen kommen werden, um ihn zu sehen; er wird das Sakrament der Göttlichen Vereinigung im Dodger-Stadion spenden, und natürlich wird alles solange im Fernsehen übertragen, bis wir alle den Verstand verlieren. Den ganzen Tag über – so steht es in den Zeitungen; ich habe es nicht erfunden.«
    »Vier Millionen«, wiederholte Tinbane, und als Fachmann fragte er sich, wie viele Ordnungskräfte benötigt wurden, um die Menge unter Kontrolle zu halten, wenn sie so groß war. Die gesamte Polizei, einschließlich der Flugstreifen und der Sondereinsatzkommandos. Was für eine Aufgabe. Er stöhnte innerlich.
    »Bei der Vereinigung nehmen sie diese Droge ein«, sagte Bethel. »Hier steht ein langer Artikel darüber. Die Droge ist ein DMT-Derivat; sie ist hier verboten, aber wenn er das Sakrament spendet, darf er – dürfen alle sie dieses eine Mal benutzen. Das Gesetz von Kalifornien erlaubt nämlich …«
    »Ich weiß, was es erlaubt«, unterbrach Tinbane. »Es erlaubt die Verwendung von psychedelischen Drogen bei einer echt religiösen Zeremonie.« Bei Gott, seine Vorgesetzten hatten es
    ihm oft genug eingebleut.
    »Ich überlege, ob ich hingehen soll«, gestand Bethel. »Und daran teilnehmen. Es ist die einzige Gelegenheit, wenn wir nicht zur F.N.G. fliegen wollen. Und offen gesagt, dazu habe ich nun wirklich keine Lust.«
    »Tu das«, sagte er und würgte glücklich Kornflocken, Pfirsichstücke und Milch und Zucker hoch, und zwar in dieser Reihenfolge.
    »Kommst du mit? Es wird bestimmt aufregend. Stell dir vor: Tausende von Menschen vereinigen sich zu einer einzigen Wesenheit. Zum Udi, wie er es nennt. Das sind alle und keiner. Im Besitz absoluten Wissens, weil es nicht auf einen einzelnen, begrenzten Standpunkt angewiesen ist.« Sie kam mit geschlossenen Augen an die Küchentür. »Also?«
    »Nein, danke«, wehrte Tinbane ab, den Mund peinlich voll. »Und schau mir nicht zu; du weißt, daß ich niemanden in meiner Nähe ertragen kann, wenn ich meinen Nahrungsschwung habe, selbst wenn keiner zuschaut. Man könnte mich kauen hören.«
    Er spürte ihre Gegenwart; er spürte ihren Ärger.
    »Du gehst nie mit mir aus«, sagte Bethel schließlich.
    »Okay«, stimmte er zu, »ich gehe nie mit dir aus.« Er fügte hinzu: »Und wenn ich es tun würde, dann bestimmt nicht irgendwohin, wo man etwas über Religion erzählt bekommt.« In Los Angeles gibt es schon genug religiöse Irre, dachte er. Ich frage mich, warum Roberts nicht schon vor langer Zeit eine Pilgerfahrt hierher gemacht hat. Ich frage mich, warum ausgerechnet jetzt – zu diesem Zeitpunkt.
    »Glaubst du, daß er ein Schwindler ist?« fragte Bethel ernst. »Daß es gar keinen Udi-Zustand gibt?«
    Er zuckte mit den Schultern. »DMT ist eine starke Droge.« Vielleicht stimmte es. Jedenfalls spielte es keine Rolle; zumindest für ihn nicht. »Es hat eine neue unerwartete Wiedergeburt gegeben«, berichtete er seiner Frau. »Natürlich in Forest Knolls. Niemand kümmert sich um diese kleinen Friedhöfe; man weiß, daß wir das übernehmen – auf Kosten der Stadt.« Jedenfalls befand sich Tilly M. Benton jetzt im Empfangshos pital von Los Angeles, dank Seb Hermes. Binnen einer Woche würde sie sich wie alle anderen übergeben.
    »Es ist unheimlich«, sagte Bethel; sie stand immer noch in der Küchentür.
    »Woher willst du das wissen? Du hast es noch nie erlebt.«
    »Du und dein verdammter Beruf«, sagte Bethel. »Laß es ja nicht an mir aus, daß du damit nicht zurechtkommst. Wenn es so schrecklich ist, dann kündige doch. Entweder heulst du mit den Wölfen, oder du hörst auf.«
    »Ich komme schon klar; um genau zu sein, ich habe schon um meine Versetzung gebeten.« Das Problem, dachte er, bis du. »Geh bitte, damit ich mich in Ruhe übergeben kann, ja?« sagte er wütend. »Verschwinde; lies Zeitung.«
    »Bist du betroffen?« fragte Bethel. »Wenn Ray Roberts hierher zur Küste kommt?«
    »Wahrscheinlich nicht«, antwortete er. Er hatte schließlich sein angestammtes Revier. Und daran schien nichts und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher