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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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verpflichtet.»
    «Erweise ich mich nicht dankbar, indem ich ihren verdammten Bruder heirate?», fragte Regina schnippisch. «Außerdem habe ich sie nicht gebeten, mich mit in die Stadt zu nehmen und zur Silberschmiedin zu machen. Ich wollte weder Lesen noch Schreiben lernen, kein Lateinund keine guten Manieren. Das alles war ihr Wunsch, Priska. Verstehst du?»
    Sie senkte die Stimme und sah noch einmal den Gang hinab. Als sie sicher war, dass niemand sie hören konnte, fügte sie hinzu: «Sie hat uns nicht um unsretwillen vom Henker geholt. Um ihretwillen hat sie es getan. Nun sind wir da. Sie kann uns nicht zurückschicken, so gern sie es vielleicht täte. Sie ist für das verantwortlich, was sie getan hat.»
    «Und wir?», fragte Priska. «Wir haben keine Verantwortung? An allem ist die Meisterin schuld?»
    «Frag die Leute auf dem Markt, frag die Mägde am Brunnen, die Wäscherinnen unten am Fluss. Niemand hat sich je Kinder aus der Vorstadt geholt. Nur sie. Nun muss sie sehen, wie sie damit fertig wird. Sie muss sie verheiraten, muss unsere Zukunft regeln. Das hat sie sich alles selbst eingebrockt. Man kann aus einem Maultier kein Pferd machen, selbst, wenn man es vor eine Kutsche spannt.»
    Priska betrachtete ihre Schwester von oben bis unten. Sie ist mutig, dachte sie. Nein, Mut ist etwas anderes. Sie hat die Schläue der unehrlichen Leute. Und sie sieht die Dinge, wie sie sind, nimmt, was sie kriegen kann, und schert sich einen Dreck um andere. Obwohl wir uns ähneln, ist sie doch ganz anders als ich. Ohne nachzudenken, was sie tat, hob Priska beide Hände, legte eine an Reginas Wange und die andere an ihre eigene. Die Schwester zuckte unwillig zurück. «Was soll das?»
    «Ich möchte wissen, ob wir uns gleich anfühlen, ob wir in derselben Haut stecken.»
    «Wir sind Zwillinge. Wir haben eine gemeinsame Seele, heißt es. Deshalb müssen wir eng beieinander bleiben. Alles,was du nicht bist, bin ich. Alles, was ich nicht bin, bist du. Nur zusammen sind wir eine ganze Seele.»
    «Ja, das sagen alle. Wissen wollte ich, ob wir auch von außen gleich sind.»
    Regina wischte sich Priskas Hand aus dem Gesicht und betrachtete die Schwester ärgerlich, ehe sie sagte: «Nein, wir sehen uns zwar ein wenig ähnlich, aber es gibt niemanden, der uns nicht voneinander unterscheiden kann.»
    «Gut so. Ich möchte nämlich nicht mit dir verwechselt werden.»
    Mit diesen Worten schlug Priska die Kammertür hinter sich zu. Sie war enttäuscht. Niemand hatte ihren Worten Beachtung geschenkt. Regina hat Recht, dachte sie, es ging der Meisterin nie um uns. Doch man kann sagen, was man will: Sie hat es gut gemeint.
    Sie legte sich aufs Bett, verschränkte die Arme unter dem Kopf und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
    Draußen auf der Straße machte der Nachtwächter seine Runde. «Ihr lieben Leute, lasst Euch sagen, die Stunde hat nun neun geschlagen. Geht nach Hause, geht zur Ruhe und macht fromm die Augen zu. Gott behüte Euren Schlaf.»
    Priska erschrak. Neun Uhr schon? Sieben Stunden Schlaf blieben ihr noch. Um vier Uhr in der Früh musste sie aufstehen und ihr Tagwerk beginnen. Sie würde sich mit kaltem Wasser in ihrem kalten Zimmer, in dem es kein Kohlebecken, sondern nur einen heißen Stein am Fuß des Bettes gab, waschen. Dann würde sie hinunter in die Küche gehen und den Herd anzünden. Die Magd würde zum Brunnen gehen, um Wasser zu holen, während Priska die Brennöfen in der Werkstatt anheizte. Dann mussten die Zuber mit Wasser gefüllt und die Werkzeuge bereitgelegt werden.Es war die Aufgabe der Lehrmädchen, die Werkstatt so herzurichten, dass die Meisterin, der Feuerknecht und der Geselle nach dem Frühstück um halb sechs gleich mit der Arbeit beginnen konnten. Doch Regina verschlief jeden Morgen erneut, fand sich erst am Frühstückstisch ein, und Priska brachte es einfach nicht fertig, sich darüber bei der Silberschmiedin zu beschweren. Klaglos deckte sie, wenn sie mit der Werkstatt fertig war, den Tisch, half der Magd und warf Regina nur hin und wieder ärgerliche Blicke zu. So war es immer, so würde es auch morgen sein. Bis zu Reginas Hochzeit.
    Aber wie sollte es jetzt mit ihr weitergehen? Was geschah mit ihr? Würde die Meisterin sie an den Nächsten verheiraten, der des Weges kam? Vielleicht, wenn sie Glück hatte und Bärbe weiterhin so vorlaut war, würde sie sie als Magd behalten. Wieder stieg Groll in Priska auf. Groll darüber, dass niemand sie jemals gefragt hatte, aber gleichzeitig alle von der
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