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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition)
Autoren: Brigitte Pons
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Perfekt inszeniert. Austernperle auf Hochglanz poliert.
    »Ist das Ihr Vater?«
    »Stiefvater.«
    »Lebt er noch? Ich meine …« Die Bilder mussten mindestens dreißig Jahre alt sein.
    »Ja, er lebt noch. Er steht auf der Liste. Sie sind geschieden.«
    »Und Ihr Vater?«
    Seine Hand ballte sich zur Faust, er stieß sich vom Tisch ab, machte drei Schritte rückwärts in den Raum.
    »Der nicht.«
    »Das tut mir leid.«
    Vor ihrem Poster mit der anatomischen Innenansicht des Menschen blieb er stehen, studierte ausgiebig das rote und blaue Aderngeflecht. »Der ist nur nicht auf der Liste.«
    »Aber er lebt noch?«
    »Kann sein.«
    »Dann haben Sie ihn noch nicht informiert?«
    »Das geht ihn nichts an!«, fuhr Adrian sie heftig an.
    »Aber sie hatten ein Kind zusammen!«
    »Soweit die Theorie. Hören Sie, können wir das Thema wechseln? Der Mann spielt hier keine Rolle.«
    Sie hob besänftigend die Hände.
    »Na gut. Wollen wir nicht lieber doch nach oben gehen?«
    »Nein.«
    Seine Verärgerung mündete in Sturheit, aber Henry ließ ihn gewähren. Wo ihre Unterhaltung stattfand, war letztlich wirklich egal. Mit einem kleinen Hopser platzierte sie sich auf der kalten Stahlplatte des Arbeitstisches an der Wand und wies ihm den Stuhl zu.
    »Also dann, ganz formlos, wenn Ihnen das lieber ist. Ich habe Ihnen gestern einen möglichen Ablaufplan geschildert, der ist aber nicht zwingend. Sie geben die Geschwindigkeit vor. Was wir aber bald machen müssen, ist einen Termin für die Beerdigung zu vereinbaren, danach die Anzeige in der Zeitung aufgeben und die Leute anschreiben, die persönlich informiert werden sollen.«
    Überkopf angelte sie einen Ordner aus dem Metallschrank und klappte ihn auf. Routinen abspulen, entspannte die Gemüter normalerweise. Danach war es oft leichter, Dinge anzusprechen, die stärkere Gefühle auslösten. Zumindest behauptete Eberhard Moosbacher das. Bei ihrem Gegenüber hegte sie allerdings begründete Zweifel, denn schon wieder schüttelte er den Kopf.
    »Nein.«
    Adrian kippte leicht die Lehne des Drehstuhls nach hinten und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Was wir hier machen, ist vielleicht unüblich, aber nicht formlos.« Ein Teil von ihm suchte Streit.
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    Ein Teil von ihm wollte nach Hause und die Decke über den Kopf ziehen.
    »Ganz am Anfang gestern waren wir beim Du. Das ist formlos.« Ein Teil von ihm dachte daran, dass dieses seltsame, sommersprossige Geschöpf ihn gestern trotz allem zum Lachen gebracht hatte.
    »Also gut, dann ist es also nicht formlos. Machen wir trotzdem weiter?«
    Der Teil, der sich nach Lachen sehnte, gewann.
    »Nur, wenn wir es ab sofort doch formlos machen.«
    Diesmal schaute er sie direkt an. Er blinzelte kaum merklich dabei, aber er ertrug ihren prüfenden Blick.
    »Schön«, gab sie schließlich nach. »Formlos heißt also per Du?«
    Adrian nickte.

* * *

    Der Mann vor Eberhard Moosbachers Schreibtisch machte ein bekümmertes Gesicht. Der buschige graue Schnurrbart zog seine Mundwinkel optisch noch weiter hinunter.
    »Ich meine es gut. Glauben Sie mir. Es ist wirklich sehr wichtig für Jürgen, dass ich es bin, der ihn zuerst findet, und nicht Westermann.«
    Aus der Tasche seines Jacketts zog Kolja Bilanow eine Visitenkarte, überlegte kurz und steckte sie wieder zurück.
    »Besser, ich schreibe Ihnen meine private Telefonnummer auf. Wenn Jürgen sich meldet, sagen Sie ihm, er soll mich anrufen. Dringend. Ich kann ihm helfen, die erste Zahlung bis Ende der Woche zu leisten, das könnte besänftigend wirken. Jürgen kennt das Procedere.«
    Moosbacher fühlte sich nicht in der Lage zu antworten. Wie hypnotisiert starrte er auf den Schnurrbart, der sich beim Sprechen sträubte und zuckte, als führe er ein eigenständiges Leben.
    »Ich weiß genau, wie Sie sich jetzt fühlen müssen, Herr Moosbacher. Es bricht mir fast das Herz.«
    Mit einem Bleistift notierte der Mann eine Ziffernfolge auf einen Zettel. »Sie können sich nicht vorstellen, wie gern ich selbst Vater geworden wäre. Ein Vater tut alles, um seine Kinder zu schützen, nicht wahr? Was ich Ihnen erzählt habe, war ganz uneigennützig, aus reiner Freundschaft – und ist nicht ohne Risiko für mich. Ich kann Ihrem Sohn einen Vorsprung verschaffen. Es liegt jetzt bei Ihnen zu entscheiden, ob Sie meine Hilfe annehmen wollen.«

* * *

    Henry saß auf ihren Händen und schaukelte ihre unter der Tischplatte überkreuzten Beine vor und zurück. Das Du funktionierte.
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