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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Wollmütze über den kurzen Haaren. Ihre Bewegungen sind energisch, zielstrebig und herzhaft (vor allem das Zupacken). Sie braucht eine Stunde, um den Transporter auszuräumen. Dann steigt sie ein und fährt weg. Taucht den restlichen Tag nicht mehr auf. Natürlich seltsam, aber: Ihre Raumeinnahme erinnert mich an Bakterien, die den Darm eines Neugeborenen besiedeln.
    19.12.
    Frühstück mit Toni. Beziehe danach Posten hinter meinem Fenster. Gegenüber erscheint meine neue Nachbarin in gewohntem Outfit. Sie zieht ihre Winterjacke aus und legt sie auf den Tisch. Darunter trägt sie einen langärmeligen Kapuzensweater. Sie öffnet den Reißverschluss, ich sehe ein enges T-Shirt mit Aufdruck. (Auf die Entfernung nicht lesbar → überlege, mir einen Feldstecher zuzulegen. Verwerfe die Idee. Sie bräuchte nur einmal zu mir herüberschauen – und ich wäre kompromittiert.) Bisher hat sie allerdings noch keinen Blick nach draußen (oder zu mir) geworfen. Sie läuft nur beständig beschäftigt durch ihre Wohnung. Ihr Körper ist geschmeidig, tigerhaft, wirkt stets absprungbereit, was natürlich mit ihren Schuhen zu tun haben kann → die lässt sie in der Wohnung an.
    Aus einem der Kartons zieht sie einen Laptop, legt ihn auf den Tisch, daneben ein paar Bücher. (Kann die Titel nicht lesen → vielleicht doch Feldstecher?) Am Boden neben ihrem Futon stapelt sie weitere Bücher, stellt eine kleine Leselampe darauf. In allen von mir einsehbaren Räumen hängen Stromkabel von der Decke. Sie montiert Fassungen und schraubt Glühbirnen ein. Einige Zeit sitzt sie vor ihrem Laptop. Ihr Gesicht blickt Richtung Fenster (aber nicht zu mir). Glaube plötzlich, sie sieht mich doch, weil sie aufsteht und nach vor geht. Sie greift an die Fensterscheibe, entfernt aber nur das lächerliche Bildchen der Vorgänger und setzt sich wieder hinter ihren Laptop. Sie hat mich nicht gesehen. Ihr Bildschirm ist von mir abgewandt, dafür schaut ihr Gesicht in meine Richtung. Sie hat eine glatte Stirn unter den kurzen, nach vor gelegten Haaren; helle Haut, schmale Augen, gerade Nase. Ernst und konzentriert wendet sich ihr Gesicht knapp oberhalb des aufgeklappten Laptops zur Seite, wenn sie in ihre Bücher blickt, dann wieder nach vor auf den Bildschirm. Ist sie Journalistin? Oder Studentin, die an einer wissenschaftlichen Arbeit schreibt? Bleibe hinter meinem Fenster unentdeckt → sitze geduckt und beobachte aus unterer Fensterecke hervor. Bin ziemlich unauffällig, aber wenn sie auf die Idee käme zu schauen, könnte sie mich sehen.
    Sollte mich um Laub, Mulchen und Lagerbestände kümmern, aber das muss warten, meine Nachbarin von gegenüber ist derzeit wichtiger (zumindest interessanter).
    Beim Abendessen ist Toni müde. Setzen uns vor den Kamin. Sie veranstaltet morgen eine Klang-Aroma-Licht-Session, kündigt sie an. Fragt, ob ich mitmachen möchte? Erkläre ihr, dass ich keine Lust dazu habe. Sie akzeptiert meine Ausrede und lässt mir wie immer eine Tür offen: »Falls du dir’s anders überlegst, du weißt ja, wo du mich findest.« Werde es mir sicher
nicht
anders überlegen. Denn zusätzlich zu meiner fehlenden Lust mangelt es mir auch an Zeit → muss schließlich meine neue Nachbarin beobachten.
    20.12.
    Um neun ist gegenüber noch immer der Rollladen im Schlafzimmer unten. Sie ist wohl kein Morgenmensch. Obwohl sich die Vormieter-Familie meine gesamte Verachtung wegen ihrer nächtlichen Verbarrikadierung zugezogen hat, kann ich im Fall meiner neuen Nachbarin nachvollziehen, dass sie nicht vor den Augen aller (speziell vor meinen) schlafen möchte und ihre Jalousie unten lässt. Würde es wahrscheinlich genauso machen, wenn mein Schlafzimmer zur Straße hinausginge.
    Toni bringt Fenchelkuchen mit. Mache Kakao. Sie freut sich auf den Nachmittag und ihre Therapiestunde. Mein Nachmittag enttäuscht mich → meine Nachbarin von gegenüber trägt Jogginghosen und ein schlabbriges T-Shirt, sitzt vor ihrem Laptop und trinkt Kaffee. Plötzlich verschwindet sie im hinteren Teil der Wohnung (Bad?) und kommt nach einiger Zeit umgezogen ins Zimmer zurück. Sie trägt bekanntes Ensemble: weite Hose, Schuhe, Jacke, Wollmütze. Holt sich einen Rucksack aus einem der Kartons, packt ihren Laptop hinein und verlässt die Wohnung. Mehr tut sich nicht.
    Werfe mich in mein Blauzeug und kümmere mich um den Kompost im Garten. Entdecke Schneckeneier (katapultiere sie mit der Schaufel über die Gartenmauer). Sammle Laub ein. Ein Teil kommt auf den Kompost, ein
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