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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde
Autoren: Michail Bulgakow
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lief aus dem Gefäß ihrer Beziehungen. Nikolka und Alexej wußten nicht mehr, worüber sie mit Talberg reden sollten. Das wäre auch sehr schwer gewesen, denn Talberg wurde bei jeder Unterhaltung über Politik sehr böse, zumal wenn Nikolka taktlos begann: »Aber im März, Serjosha, hast du gesagt …« Talberg zeigte dann gleich die auseinanderstehenden, aber großen und weißen oberen Zähne, in den Augen blitzten gelbe Funken, und er begann sich zu erregen. Demzufolge gewöhnte man sich Gespräche ganz ab.
    Ja, die Operette … Jelena wußte, was dieses Wort von den etwas vollen baltischen Lippen Talbergs bedeutete. Es drohte jetzt Schlimmes an, nicht den Pumphosen, nicht denen aus Moskau, nicht irgendeinem Iwan Iwanowitsch, sondern Sergej Iwanowitsch Talberg selbst. Jeder Mensch lebt unter seinem eigenen Stern, und nicht umsonst hatten die Hofastrologen des Mittelalters mit Horoskopen die Zukunft geweissagt. Oh, sie waren weise! Sergej Iwanowitsch Talbergs Stern aber paßte nicht zu ihm, es war kein glücklicher Stern. Talberg hätte es gut gehabt, wenn alles in einer geraden, bestimmten Linie verlaufen wäre, doch die Ereignisse in der STADT verliefen damals nicht gerade, sie machten bizarre Zickzacksprünge, und Talberg suchte vergeblich zu erraten, was kommen würde. Es gelang ihm nicht … Noch stand weit von hier, hundertfünfzig oder auch zweihundert Werst von der STADT entfernt, auf grell erleuchteten Gleisen ein Salonwagen. Darin kullerte wie eine Erbse in der Schote ein glattrasierter Mann umher, während er seinen Schreibern und Adjutanten in einer seltsamen Sprache, mit der selbst Perpillo seine Mühe gehabt hätte, etwas diktierte. Wehe Talberg, wenn dieser Mann in die STADT einrückte, und er konnte einrücken! Wehe ihm. Die Nummer der »Westi« war allen bekannt und der Name des Hauptmanns Talberg, der den Hetman gewählt hatte, auch. In der Zeitung gab’s einen Artikel aus Talbergs Feder, darin standen die Worte:

    »Petljura ist ein Abenteurer, der mit seiner Operette unser Land mit Untergang bedroht …«

    »Dich, Jelena, kann ich auf die Wanderung ins Ungewisse nicht mitnehmen, das verstehst du doch?«
    Jelena sagte kein Wort, denn sie war stolz.
    »Ich hoffe, es gelingt mir, über Rumänien auf die Krim und von dort zum Don zu gelangen. Von Bussow versprach mir Unterstützung. Man schätzt mich. Die deutsche Okkupation hat sich in eine Operette verwandelt. Die Deutschen rücken schon ab.« (Flüsternd:) »Petljura wird sich nach meiner Schätzung auch nicht mehr lange halten können. Die wahre Kraft kommt vom Don her. Und du weißt, ich darf nicht fehlen, wenn eine Armee der Ordnung und des Rechts formiert wird. Fernbleiben bedeutet die Karriere zugrunde richten; du weißt, Denikin war mein Divisionschef. Ich bin überzeugt, in knapp drei Monaten, spätestens aber im Mai kommen wir in die STADT. Du brauchst keine Angst zu haben. Man wird dich auf keinen Fall belästigen, im schlimmsten Fall hast du den Personalausweis mit deinem Mädchennamen. Ich werde Alexej bitten, dich zu beschützen.«
    Jelena wurde plötzlich lebhaft.
    »Warte«, sagte sie, »wir müssen den Brüdern sofort sagen, daß die Deutschen uns verraten.«
    Talberg wurde über und über rot.
    »Natürlich, natürlich, ich werde ihnen unbedingt … Im übrigen, sag du’s ihnen lieber selbst. Obwohl das an der Sache nicht viel ändert.«
    Ein merkwürdiges Gefühl durchzuckte Jelena, aber sie hatte keine Zeit, Überlegungen anzustellen: Talberg küßte bereits seine Frau, und es war einen Augenblick lang in seinen zweischichtigen Augen nur eines – Zärtlichkeit. Jelena hielt es nicht mehr aus und begann zu weinen, aber leise, leise, sie war eine charakterfeste Frau, eine würdige Tochter Anna Wladimirownas. Dann fand im Wohnzimmer der Abschied von den Brüdern statt. In der bronzenen Lampe flammte rosa Licht auf und überflutete die ganze Ecke. Das Klavier zeigte gemütliche weiße Zähne und die Margarete-Partitur, aufgeschlagen an der Stelle, wo die schwarzen Notenkrakel in dichten Reihen marschieren und der buntgekleidete rotbärtige Valentin singt:
    Ich lasse Margarete,
Sie bleibt hier ohne Schützer,
Die Mutter wacht nicht mehr!
    Selbst Talberg, dem sentimentale Regungen fremd waren, prägten sich in diesem Moment die schwarzen Akkorde und die abgegriffenen Seiten des ewigen Faust ins Gedächtnis. Ach, ach … Talberg würde nicht mehr die Kavatine vom allmächtigen Gott vernehmen, würde nicht mehr hören, wie Jelena
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