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Die Wahrheit über Marie - Roman

Die Wahrheit über Marie - Roman

Titel: Die Wahrheit über Marie - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Regenvorhang, der vom Wind stoßweise seitlich und in Wirbeln durch die Strahlenbündel der Straßenlaternen gepeitscht wurde. Gleichzeitig ertönte mehrere Male hintereinander ein Donnergrollen, und der Himmel wurde schlagartig erleuchtet durch ein baumartiges Netz mit vielfachen Verästelungen. Die Heftigkeit des Regens nahm zu, einzelne Tropfen begannen ins Zimmer zu fallen, prallten von den Fensterscheiben und vom Parkett. Marie fühlte sich sicher unter ihrer Decke, geschützt vor dem Unwetter, nackt, wie sie war, ihre Sinne waren durch die Dunkelheit geschärft, ihre Augen schimmerten im Licht der Blitze, sie gab sich mit Lust der erotischen Dimension des Vergnügens hin, ein solches Unwetter im Schutz eines Bettes genießen zu können, mit weit in die Nacht geöffnetem Fenster, wenn der Himmel aufreißt und die Elemente außer Rand und Band geraten. Manchmal ließen die Blitze sie hochfahren, steigerten durch ihr Erschrecken nur noch mehr ihr sinnliches Vergnügen, sich drinnen im warmen Bett zu wissen, während draußen der Sturm tobte. Doch anders als die heftigen Unwetter der Spätsommer auf Elba, die die Luft reinigen und sofortige Erfrischung bringen, hatte das Gewitter dieser Nacht etwas Tropisches und Ungesundes, so als hätte der Regen die Temperatur nicht senken können, und die Luft, noch immer feuchtigkeitsschwanger und mit einem Übermaß an atmosphärischer Elektrizität aufgeladen, bliebe drückend, schwül, nicht zu atmen, zum Ersticken. Jean-Christophe de G. hatte nicht einmal die Augen geöffnet, reglos lag er in seinen Kleidern neben ihr im Bett, Schweiß auf der Stirn. Bleiern schlief er auf dem Rücken liegend, unberührt vom Grollen des Donners, dessen Nachhall sich in vielfachen Echos brach, bevor er im anhaltenden Plätschern des auf die Erde klatschenden Wolkenbruchs erstickte. Marie achtete kaum auf ihn, als er plötzlich die Decke zurückschlug und im Anzug aus dem Bett auftauchte, fertig angekleidet wie zum Ausgehen. Sie sah zu, wie er stocksteif wie ein Schlafwandler das Zimmer verließ, in Socken, seinen Aktenkoffer in der Hand, vielleicht wollte er nach Hause gehen, Marie hatte keine Ahnung, wohin er ging, sie hörte, wie er sich im Flur entfernte, dann schlug eine Tür zu, vielleicht die Wohnungstür, und Marie suchte mit den Augen nach den Schuhen von Jean-Christophe de G., die noch am Fußende des Bettes standen, es war vielleicht doch die Toilettentür, die zugeschlagen war. Einige Minuten blieb Jean-Christophe de G. fort, dann kam er zurück, so wie er gegangen war, derselbe unsichere, stocksteife, mechanische Gang, doch jetzt war sein Gesicht kreideweiß, blass, aschfahl, in Socken und schwitzend tat er einen Schritt ins Zimmer und brach zusammen.
    Marie begriff nicht sofort, was geschehen war, dachte zuerst, er sei wegen des Alkohols gestolpert, und zögerte zunächst einen Augenblick, bevor sie aus dem Bett sprang, um ihm zu Hilfe zu kommen. Was ihr aber auf einmal große Angst einjagte, war, dass er nicht das Bewusstsein verloren hatte, sie sah, wie er sich in der Dunkelheit auf dem Rücken hin und her wälzte, sich jämmerlich auf dem Parkett wand, sich mit beiden Händen an die Brust griff, als sei dort ein Schraubstock, aus dem er nicht freikam, und sie sah, wie sich sein Gesicht im Dunkeln vor Schmerz verzerrte, seine Kiefer verhärteten, seine Lippen schwer wurden, steif und wie betäubt, seine Atmung war nicht normal, er versuchte angestrengt, etwas zu sagen, doch seine Artikulation war teigig, kaum verständlich, er versuchte, ihr zu erklären, dass er seine linke Hand nicht mehr spüre, dass sie gelähmt sei. Marie, neben ihm auf dem Boden kniend und über ihn gebeugt, hatte seine Hand ergriffen. Er sagte, dass er sich schlecht fühle, man sofort einen Arzt rufen müsse.
    Marie hatte die Nummer eines Notdienstes gewählt, die 15 oder die 18, und lief ungeduldig im Zimmer auf und ab, darauf wartend, dass jemand den Anruf entgegennahm, sie ging zum Fenster, warf einen abwesenden Blick auf die dunkle Straße, auf die immer noch der Regen fiel, kehrte zu Jean-Christophe de G.s auf dem Boden liegenden Körper zurück und kniete sich schließlich neben ihn. Nackt und auf Knien verharrte Marie reglos im Halbdunkel, hielt das Telefon in ihren zitternden Fingern, hörte das Freizeichen, ihr nackter Körper wurde immer wieder von brutalen Blitzen angestrahlt, die das ganze Zimmer in grellem Weiß erhellten, und als sich am anderen Ende der Leitung endlich jemand meldete,
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