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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne
Autoren: Gene Wolfe
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Strand. Dem Schläfer gehört der Fisch, weshalb man ihn um Erlaubnis bitten muß vor dem Fischen. Ich fange silberne Fische für ihn. Er schickt Sturm, wenn er zürnt, und schenkt Ruhe, wenn er gütig gesonnen ist.«
    Ich war zum Oannes dieser Leute geworden!
    »Der andere Gott ist Odilo. Ihm gehören die Gründe unterm Meer.
     
    Er liebt Gelehrsamkeit und gutes Betragen. Odilo hat die Männer sprechen und die Frauen schreiben gelehrt. Er ist der Richter über Götter und Menschen und bestraft keinen, der nicht dreimal gesündigt hat. Einst trug er den Kelch des Increatus. Der rote Wein ist sein. Wein bringt ihm sein Mann.«
    Mir war im Nu eingefallen, wer Odilo gewesen war. Nun erkannte ich, daß das Haus Absolut und unser Hof der Rahmen eines Zerrbilds vom Increatus als Autarch geworden war. Es hatte, im nachhinein gesehen, so kommen müssen.
    »Es gibt des weiteren zwei Göttinnen. Pega ist die Göttin des Tages. Alles unter der Sonne ist ihr eigen. Pega liebt Reinlichkeit. Sie hat die Frauen das Feuermachen, Backen und Weben gelehrt. Sie leidet mit ihnen im Kindbett und kommt zu jedem im Augenblick des Todes. Sie ist die Trostspenderin. Braunes Brot ist die Gabe, die ihre Frau ihr bringt.«
    Ich nickte beifällig.
    »Thais ist die Göttin der Nacht. Alles unter dem Mond ist ihr eigen. Sie liebt die Worte der Liebenden und ihre Umarmungen. Alle, die sich vereinigen, müssen ihre Billigung erbitten, indem sie gemeinsam die Worte sprechen im Dunkeln. Unterlassen sie es, entfacht Thais in einem dritten Herzen Liebesglut und findet der Hand einen Dolch. Flammend tritt sie vor Kinder und verheißt ihnen, daß sie keine Kinder mehr sind. Sie ist die Verführerin. Goldener Honig ist die Gabe, die ihre Frau ihr bringt.«
    Ich sagte: »Mir scheint, ihr habt zwei gute Götter und zwei böse, wobei Thais und der Schläfer die bösen sind.«
    »O nein! Alle Götter sind besonders gut, vor allem der Schläfer! Ohne den Schläfer würden viele Hungers sterben. Der Schläfer ist sehr, sehr groß! Und wenn Thais nicht kommt, tritt ein Dämon an ihre Stelle.«
    »Also habt ihr auch Dämonen?«
    »Dämonen hat jeder.«
    »Stimmt«, meinte ich.
    Das Schneidebrett war fast leer und ich satt. Der Priester – mein Priester, sollte ich schreiben – hatte nur ein Stückchen genommen. Nun stand ich auf, nahm, was noch übrig war, und schüttete es, da ich nicht wußte, was ich sonst damit anfangen sollte, ins Meer. »Für Juturna«, erklärte ich ihm. »Kennt ihr Juturna?«
    Er war aufgesprungen, sobald ich mich erhob. »Nein …« Er zögerte, aber ich sah ihm an, daß er um ein Haar den Namen gebraucht hätte, den er mir verliehen hatte, wovor er sich aber scheute.
    »Dann ist sie vielleicht auch eine Dämonin, wofür ich sie fast mein ganzes Leben lang gehalten habe. Mag sein, daß wir uns beide nicht großartig getäuscht haben.«
    Er verbeugte sich, und obwohl er ein bißchen größer und keineswegs beleibt war, erkannte ich hinter dieser Verbeugung Odilo, als würde dieser höchstpersönlich vor mir stehen.
    »Bring mich nun zu Odilo«, sagte ich, »den andern Gott!«
    Gemeinsam gingen wir über den Strand zurück, woher er gekommen war. Die Hügel, die Morast gewesen waren bei meinem Weggang, waren nun mit weichem grünen Gras bedeckt. Blumen blühten, und junge Bäume streckten sich.
    Ich versuchte, die Zeit meiner Abwesenheit zu schätzen und die Jahre zu zählen, die ich bei den Autochthonen in ihrer steinernen Stadt verlebt hatte; und obwohl ich mir über die jeweilige Zahl nicht sicher sein konnte, kamen sie mir mehr oder weniger identisch vor. Verwundert dachte ich sodann an den grünen Mann, der genau in dem Moment, als ich seiner bedurfte, zu mir gekommen war in den Urwäldern des Nordens. Beide hatten wir die Korridore der Zeit beschritten, wobei er freilich ein Meister und ich nur ein Lehrling war. Ich fragte meinen Priester, wann der Schläfer alles Land verschlungen habe.
    Obwohl er tiefbraun war, sah ich das Blut aus seinem Gesicht weichen. »Lang ist’s her«, sagte er. »Bevor Menschen auf Ushas gekommen sind.«
    »Woher wißt ihr dann davon?«
    »Der Gott Odilo hat es uns gelehrt. Bist du erzürnt?«
    Odilo hatte also mein Gespräch mit Eata belauscht, während er sich schlafend stellte. »Nein«, erwiderte ich. »Ich möchte nur gerne erfahren, was ihr darüber wißt. Gehörst du zu denen, die nach Ushas gekommen sind?«
    Er schüttelte den Kopf. »Der Vater meines Vaters und die Mutter meiner Mutter. Sie sind
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