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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne
Autoren: Gene Wolfe
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Meister Malrubius von Loyalität gegenüber der göttlichen Entität, von Loyalität gegenüber der Person des Monarchen sprach. Er meinte, wir sollten Vertrauen haben, dürften uns nicht gegen unser Los auflehnen. Natürlich hattet ihr ihn geschickt.«
    »Es waren seine Worte – aber das ist einerlei, wie du inzwischen auch wissen solltest. Wie die Hierogrammaten holen wir frühere Persönlichkeiten aus dem Gedächtnis, und wie die Hierogrammaten verfälschten wir sie nicht.«
    »Aber es gibt so vieles, das ich nicht weiß. Als wir uns auf Tzadkiels Schiff begegneten, kanntet ihr mich noch nicht, und dem entnahm ich, daß es unsre letzte Begegnung sein sollte. Dennoch seid ihr alle drei nun hier.« Famulimus säuselte: »Entsprechend überrascht sind auch wir, Severian, dich hier zu finden, wo die Menschheit kaum begonnen hat. Wir haben die Zeit so weit zurückverfolgt, und seit unsrer letzten Begegnung sind auf der Welt ganze Zeitalter vergangen.«
    »Und dennoch wußtet ihr, daß ich hier zu finden wäre?«
    Barbatus trat aus dem Schatten. »Wir wissen es von dir. Hast du vergessen, daß wir dich beraten haben? Du hast uns erzählt, wie Hildegrin umgekommen ist, also haben wir an diesem Ort nach dir Ausschau gehalten.«
    »Und ich, ich bin auch gestorben. Die Autochthonen – mein Volk …«
    Ich brach ab, aber niemand ergriff das Wort. Schließlich sagte ich: »Ossipago, richte bitte dein Licht dorthin, wo Barbatus gestanden hat.«
    Der Automat richtete seine Sensoren auf Barbatus, aber rührte sich nicht von der Stelle.
    Famulimus trällerte: »Barbatus, du wirst ihm schon leuchten müssen. Obwohl unser Severian es eigentlich wissen sollte. Wie können wir von ihm verlangen, alle Bürden zu tragen, während wir ihn nicht wie einen Menschen behandeln?«
    Barbatus nickte, und Ossipago rückte dorthin, wo Barbatus gestanden hatte, als ich erwachte. Nun sah ich dort, was ich zu sehen befürchtet hatte, den Leichnam eines Mannes, den die Autochthonen Haupt des Tages genannt hatten. Goldene Bänder umspannten seine Arme, Reife, die mit orangen Hyazinthen und grün funkelnden Smaragden besetzt waren.
    »Sagt, wie ihr das fertiggebracht habt«, wollte ich erbost wissen.
    Barbatus strich sich nur über den Bart und schwieg.
    »Du weißt, wer dich bei der rastlosen See aufgeklärt und für dich gekämpft hat, als die Urth in der Waagschale gelegen hat«, piepste Famulimus.
    Ich starrte sie an. Ihr Antlitz war wie eh und je schön und wenig menschlich – obzwar nicht ohne Ausdruck, entbehrte es menschliche Züge und menschliche Sorgen.
    »Bin ich ein Eidolon? Ein Geist?« Ich betrachtete meine Hände, von deren Stofflichkeit ich mir Gewißheit erhoffte. Sie zitterten; um das unterbinden, mußte ich sie an die Schenkel pressen.
    Barbatus sagte: »Was du Eidolon nennst, ist kein Geist, sondern ein Wesen, dessen Existenz aufrechterhalten wird von einer äußeren Energiequelle. Was du Materie nennst, ist in Wirklichkeit lediglich gebundene Energie. Der einzige Unterschied besteht darin, daß manche Materie durch Eigenenergie im materiellen Zustand gehalten wird.«
    In dem Moment wollte ich weinen, wie ich nie etwas sehnlicher gewollt hatte im Leben. »Wirklichkeit? Du glaubst, es gibt tatsächlich eine Wirklichkeit?« Tränen wäre ein Nirwana gewesen; die strenge Erziehung indes obsiegte, und es flossen keine Tränen. Ich überlegte erschrocken, ob ein Eidolon überhaupt weinen könnte.
    »Du sprichst von Realität, Severian; entsprechend hältst du an der Realität fest. Eben noch sprachst du von dem, der Realitäten schafft. Einfache Menschen deines Volkes nennen ihn Gott, und du, ein Gebildeter, nennst ihn Increatus. Was warst du je anderes als sein Eidolon?«
    »Wer erhält nun meine Existenz aufrecht? Ossipago? Laß gut sein, Ossipago.«
    Ossipago brummte: »Ich nehme von dir keine Befehle an, Severian. Diese Erfahrung hast du längst gemacht.«
    »Selbst wenn ich mich umbringe, wird Ossipago mich wieder ins Dasein zurückholen können.«
    Barbatus schüttelte den Kopf, aber anders, wie ein Mensch das getan hätte. »Das hätte keinen Sinn – du könntest dir wieder das Leben nehmen. Wenn du wirklich sterben willst, dann bring’s hinter dich. Unter den Grabesgaben hier befinden sich recht viele Steinmesser. Ossipago wird dir eins besorgen.«
    Ich erschien mir echt wie eh und je; und als ich mein Gedächtnis erforschte, fand ich dort Valeria und Thecla und den alten Autarchen und den Knaben Severian (der nur Severian
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