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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
Autoren: Ketil Bjørnstad
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auf eine gedachte Eisfläche stießen und gleich danach das Eis fegten, auf dem die Freundin wie eine um sich selbst kreisende, hilflose Krähe flatterte, diese Parodie war Wirklichkeit geworden.
    Inzwischen war Annika eine um sich selbst kreisende, hilflose Krähe geworden, egal wie cool sie sich gebärdete.Und sowohl Elisabeth wie Thomas ließen sie diese Rolle spielen, so wie sie es am liebsten wollte oder mußte. Sie hatte das Leben besessen und wieder verloren, ebenso wie die Alten im Dahl- und im Brenner-Haus es besessen hatten und dabei waren, es zu verlieren, ebenso wie Kurt Ove es definitiv verloren hatte. Aber sie alle hatten immer noch materiellen Wohlstand.
     
    Elisabeth war die erste, die das erkannt hatte, als sie aus Baku zurückkam, wie irrsinnig privilegiert sie alle waren, jeder im eigenen Haus, im eigenen Zimmer, an der Spitze der Geldpyramide, unfähig, diesen Wohlstand anders als für sich selbst zu benutzen.
    Und sie war es dann, die alle mit dem Buddhismus irritiert hat. Aber als es mit Annika ernst wurde, hatte die buddhistische Botschaft eine tiefere Bedeutung bekommen, kreiste um den Begriff der Achtsamkeit . Den führte sie einige Wochen lang im Mund, mit abwesendem Blick. Elisabeth war eigentlich nie unaufmerksamer gewesen als in dieser Zeit, hänselte er sie, denn sie hatte das Essen anbrennen lassen und vergessen, den Wecker zu stellen, völlig gefangen in ihrer Achtsamkeit. Sie hatte bewußt sein wollen, immer im Augenblick, ohne zu urteilen. Und dieses letzte – nicht zu urteilen – war ihr besonders wichtig gewesen. So hatte sie sein wollen, zu Thomas, zu den Mädchen und zu ihren Eltern. Sie lief herum mit abwesendem Blick, versunken in der Meditation, erklärte aber allen, sie sei ganz im Hier und Jetzt. Übte Achtsamkeit.
    Und allmählich begriff Thomas, daß sie es ernst meinte, daß der abwesende Blick gar nicht so abwesend war, daß sich das, was sie tat, auf die Familie auswirkte. Nach einigen Wochen strahlte sie tatsächlich eine neue Art von Ruhe aus. Sie löste alle Schwierigkeiten mit Annika undspäter mit Line viel besser als er. Sie war ganz einfach viel achtsamer, ohne Meinungen und Vorurteile. Und zu dieser Zeit kündigte sie ihren Job.
    Ihre Begründung waren Konflikte mit Telenor, aber Thomas wußte sofort, daß es ihr darum ging, für ihre Eltern und für Annika und Line in wirklich verantwortlicher Weise dazusein. Sie wollte sich um keine Karriere mehr kümmern, mußte kein hochgestecktes Ziel verfolgen. Sie hatte einfach genug davon, ständig unterwegs zu sein, sicher auch deshalb, weil ihr mehr und mehr klar wurde, daß viele der Länder, in denen sie sich für den Aufbau eines Mobilfunknetzes engagiert hatte, nie in der Lage sein würden, die trostlosen Lebensumstände ihrer Bewohner zu ändern. Sie hatte den Menschen im Kaukasus, in den einsamen Dörfern, in der Metropole Moskau etwas geben wollen.
    Sie hatte mehr als bei Telenor üblich persönliche Kontakte geknüpft, die sie auch pflegte, nicht nur mit Weihnachtskarten und Briefen, sondern auch mit privaten Besuchen, einmal sogar zusammen mit der ganzen Familie, um einem Dorf, das mit den örtlichen Behörden kämpfte, Mut zu machen. Aber schließlich wuchs ihr das Ganze über den Kopf. Und als die Eltern anfingen, alt und hilfsbedürftig zu werden, stand sie vor der Wahl: ins Ausland gehen und die Familie mitnehmen (Thomas hatte stets erklärt, daß er mitkommen würde) oder den Job kündigen und mehr zu Hause sein. Sie entschied sich für letzteres, zweifellos beeinflußt von ihrer Einsicht, das Leben so zu sehen, wie es war, und den Augenblick zu ergreifen.
    Eigentlich wäre es schon aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen. In keiner der Familien gab es größere Geldreserven, und die Einkünfte von Telenor und der Gemeinschaftspraxis hatten gerade gereicht. Aber sie hattenauch damit gerechnet, daß Annika und Line mit den Jahren selbständig werden und die Haushaltskasse entlasten würden. Als das Gegenteil eintrat, nahmen Elisabeth und Thomas einen Kredit auf, eine Hypothek auf das Haus, was Tulla und Kaare Dahl gar nicht gefiel, auch wenn es ihnen weiterhin an nichts fehlte.
    Aber das Haus war ein Geldschlucker. Ein Dach, das erneuert werden mußte, ein Teil des Grundstücks, in dem eine Drainage erforderlich war, ein Zimmer, das endlich neue Farbe benötigte, eine Rohrleitung, die erneuert, Fenster, die ausgetauscht werden mußten. Und die Ausgaben für Annika und Line, die stiegen und
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