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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele
Autoren: Scott Nicholson
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unberührtem Schnee, dachte er. Da fehlte jemandem der nötige Respekt für die Arbeit eines Kunsthandwerkers.
    Wieder schaute er in die Augen auf dem Gemälde. Ephram Korban schien jetzt in den Raum zu blicken, auf die Menschen, die es gewagt hatten, seine Schwelle zu überqueren. Das Gesicht erschien abwechselnd verlockend und abstoßend. Mason berührte den Rahmen—
    »Wunderschön, nicht wahr?«, ertönte die helle Stimme einer Frau.
    Mason fuhr herum, seine Tasche stieß beinahe an das Weinglas. Vor ihm stand die vollbusige Frau im schwarzen Kleid. Ihr dunkles Haar war zu einem strengen Dutt zusammengebunden. Ihr Lächeln wirkte wie in Stein gemeißelt.
    »Ja«, erwiderte Mason. »Wer auch immer ihn geschnitzt hat, muss ein paar Wochen dafür benötigt haben.«
    Sie kicherte, abgedroschen und künstlich. »Ich habe über das
Gemälde
gesprochen, Dummerchen.«
    Sie spielte mit der Perlenkette, die um ihren Hals hing. Die Perlen wurden vollkommen entgegen der Mode von einem kleinen Messingmedaillon unterbrochen. Ihre dunklen Augen blitzten und funkelten voller Leben – dem Leben, an dem es Korbans gemalten Augen fehlte. Mason fragte sich, ob man so etwas wohl einstudieren konnte. Er sah diese Frau bildhaft vor sich, wie sie vor dem Spiegel stand, ihre Perlenkette anlegte, ihre Zähne überprüfte und wie auf Knopfdruck das Funkeln in ihren Augen anschaltete.
    Die Frau streckte die Hand aus. Mason griff danach und fragte sich, ob er sich verneigen oder sie wie ein französischer Dandy in einem Historienfilm küssen sollte. Ihre Haut war kühl. Sie drehte seine Hand herum und besah sich seine Finger. Dann nickte sie: »Ah, Sie sind also der Bildhauer.«
    »Wie bitte?«
    »Schwielen. Hier im Herrenhaus bekommt man nicht allzu viele Schwielen.« Sie beugte sich verschwörerisch nach vorn. »Zumindest die Gäste nicht. Das Dienstpersonal ist immer noch bei der Arbeit.”
    Mason nickte. Er schaute nach unten auf seine Tennisschuhe mit den abgewetzten Kappen und das Loch in seiner Jeans. Die anderen Leute, die mit ihm im Transporter nach oben gefahren waren, trugen Lederpumps, Kenneth Coles, Pantoletten, Kleidung aus Katalogen, die den Namen von Designern aus New Hampshire trug. Er gehörte hier nicht hin. Er war ein bettelarmer Niemand aus einer Mühlenstadt in den Südstaaten, ganz egal, welches Künstlergebaren er auch an den Tag legte.
    Doch hier war er nun, bereit, sich zum Erfolg zu schnitzen.
    »Es war schon lange kein Bildhauer mehr hier«, erzählte sie. Ihre kalte Hand umklammerte noch immer die seine. »Mal sehen, ob ich mir Ihre Unterlagen eingeprägt habe. ›Mason Beauford Jackson, Abschluss mit Auszeichnung an der Adderly School of the Arts, gegenwärtig tätig in der Rayford-Textilfabrik in Sawyer Creek, North Carolina. Gewinner des Grassroots Consortium Award 2002. Beauftragt von der Westridge University, ein Werk für ihren Absolventensaal zu kreieren.‹ Wie
war
gleich noch einmal der Name dieser Arbeit?«
    Endlich ließ sie seine Hand los und legte ihre auf die Stirn, als ob sie eine Buchseite in ihrem Kopf lesen würde. Dann schnipste sie mit den Fingern. »
Diluvium
. Natürlich. Wie schrecklich reizend.”
    Mason stöhnte innerlich auf. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie überheblich der Titel klang, bis er über diese wohlerzogenen, kultivierten Lippen kam. »Na ja, das lag an der Clique, zu der ich damals gehörte. Avantgarde, und trotzdem hat man sich immer bei McDonald’s zum Mittagessen getroffen.«
    Die Frau stieß ein rasselndes Lachen aus und zeigte auf die Leinentasche, die über seiner Schulter hing. »Ist das Ihr Werkzeug?«
    »Ja, gnädige Frau.«
    »Ich freue mich schon darauf, Sie damit in Aktion zu sehen.« Wieder hielt ihre kalte Hand die seine umklammert. »Ich bin Mamie Goldfeld. Aber ich bestehe darauf, dass Sie mich Miss Mamie nennen.«
    Er schaute hinüber zu Korbans Porträt, dann wieder auf Miss Mamie.
    »Ah, Sie haben es bemerkt«, sagte sie.
    »Die Augen.«
    »Ich bin die letzte lebende Verwandte von Ephram Korban. Ich führe das Haus und unterhalte es als ein Künstlerrefugium, genau wie er es sich gewünscht hat. Master Korban hatte schon immer ein Faible für den kreativen Geist der Schöpfung.«
    »War er selbst Künstler?«
    »Ein frustrierter. Ein
Dilletant
. Hauptsächlich war er Sammler.«
    Alle Künstler sind frustriert. Ist es nicht genau das, worum es geht?
    Mason sah sich die baulichen Raffinessen des Foyers genauer an. Der Bogen über dem Vordereingang war
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