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Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Christopher W. Gortner
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begabteste der Dudley-Sippe und hatte sich in allem, was er unternahm, ausgezeichnet, gleichgültig, ob Bogenschießen, Musik oder Tanz. Außerdem hegte er einen übertriebenen Stolz auf seine Überlegenheit – er war ein Tyrann, dem es königlichen Spaß bereitete, seine Brüder in dem stets aufs Neue lustigen Spiel »Prügelt das Findelkind« herumzukommandieren.
    Wie geschickt ich mich auch versteckte, wie heftig ich mich auch wehrte, am Ende gelang es Robert immer, mich zur Strecke zu bringen. Und dann wiegelte er seine Brüder, diese Schlägerbande, dazu auf, mich in den mit Fäkalien verschmutzten Burggraben zu tauchen oder mich über den Brunnen im Innenhof zu hängen, bis meine Schreie in Schluchzen übergingen und meine geliebte Mistress Alice herbeistürzte, um mich zu retten. Den größten Teil meiner Zeit verbrachte ich damit, auf Bäume zu klettern oder mich verängstigt auf Dachböden zu verbergen. Schließlich wurde Robert an den königlichen Hof geschickt, um dem jungen Prinzen Edward als Edelknabe zu dienen. Und als seine Brüder mit ähnlichen Stellen versorgt waren, entdeckte ich eine nie erlebte und hochwillkommene Freiheit von ihrer Grausamkeit.
    So schwer es mir fiel, mich mit diesem Gedanken anzufreunden, jetzt war ich auf dem Weg zu Robert, um ihm zu dienen. Keine Geringere als seine Mutter hatte es befohlen. Aber natürlich zogen Adelsfamilien unglückliche Findelkinder wie mich nicht aus reiner Nächstenliebe auf. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass der Tag kommen würde, an dem sie meine Schuld bei ihnen einfordern würden.
    Meine Gedanken waren mir wohl am Gesicht abzulesen, denn Master Shelton räusperte sich und murmelte verlegen: »Du brauchst dich nicht zu grämen. Du und Lord Robert, ihr seid jetzt erwachsene Männer. Achte einfach auf deine Manieren, und tu, was er dir aufträgt, dann geht alles gut für dich aus. Du wirst schon sehen.« Und in einem neuerlichen Anflug von Empfindsamkeit tätschelte er mir die Schulter. »Mistress Alice wäre stolz auf dich. Sie hat immer daran geglaubt, dass aus dir etwas wird.«
    Plötzlich schnürte sich mir die Kehle zu. Wieder sah ich sie vor meinem inneren Auge, wie sie mahnend den Finger hob, während auf dem Herd der Topf mit den Kräutern blubberte und ich mit den von der frisch gekochten Marmelade verklebten Lippen und Fingern wie verzaubert dasaß. »Du musst immer zu Großem bereit sein, Brendan Prescott«, pflegte sie mir vorzuhalten. »Wir können nicht wissen, wann wir dazu aufgerufen werden, uns über unser Schicksal zu erheben.«
    Ich wandte die Augen ab und gab vor, die Zügel anzuziehen. Das nun eintretende Schweigen wurde nur vom steten Klipp-klapp der Hufe auf den mit getrocknetem Lehm bedeckten Pflastersteinen durchbrochen.
    Schließlich brummte Master Shelton: »Hoffentlich passt deine Livree. Du könntest ein bisschen Fleisch auf deinen Knochen durchaus vertragen, aber deine Haltung ist gut. Hast du regelmäßig mit dem Kampfstab geübt, wie ich es dich gelehrt habe?«
    »Jeden Tag«, antwortete ich und zwang mich, zu ihm aufzusehen. Master Shelton hatte keine Ahnung davon, was ich in den letzten Jahren noch alles geübt hatte.
    Es war Mistress Alice, die mich mit dem Gebrauch der Buchstaben vertraut gemacht hatte. Sie selbst war eine Seltenheit gewesen: Als gebildete Kaufmannstochter war sie in Not geraten, und nachdem sie in den Dienst der Dudleys getreten war, um »Leib und Seele zusammenzuhalten«, wie sie gerne sagte, hatte sie mir immer gepredigt, dass unser Geist nur eine einzige Grenze hatte – diejenige, die wir uns selbst setzten. Nach ihrem Tod hatte ich mir geschworen, meine Studien zu ihrem Gedenken fortzusetzen. Von da an beeindruckte ich den Mönch mit dem fauligen Atem, den Master Shelton gedungen hatte, mit derart glühendem Eifer, dass er mich bald durch die Feinheiten von Plutarchs Stil lotste. Oft blieb ich ganze Nächte lang wach und las Bücher, die ich aus der Bibliothek der Dudleys entwendet hatte. Die Familie hatte Regale voller schwerer Bände erworben, hauptsächlich, um mit ihrem Wohlstand zu prahlen, denn ihre Söhne hielten sich mehr auf ihr Geschick bei der Jagd zugute als auf irgendeine Begabung für die Feder. In meinem Fall dagegen wurde das Lernen zur Leidenschaft. In diesen muffigen Schwarten entdeckte ich eine Welt ohne Beschränkungen, in der ich sein konnte, wer immer ich sein wollte.
    Ich unterdrückte ein Lächeln. Auch Master Shelton war des Lesens und Schreibens kundig. Das
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