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Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Christopher W. Gortner
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stumpf vor sich hin, nackt und schlotternd, allerdings auch sauberer, als er es seit seiner Ankunft am Hof wohl je gewesen war.
    Ich kramte ein halbwegs fleckenloses Hemd, Hose, Wams und Damastärmel aus dem Schrank und hielt sie ihm hin. »Soll ich Mylord beim Anziehen helfen?«
    Er riss mir die Sachen aus den Händen. Ich ließ ihn allein mit seinen Kleidern kämpfen und holte meine einzige Ersatzhose, mein neues graues Wollwams und die guten Schuhe aus der Satteltasche.
    Unversehens überkam mich dabei die Erinnerung an Mistress Alice, wie sie Tierfett in das Schuhleder rieb. »Damit sie glänzen wie die Sterne«, hatte sie augenzwinkernd gesagt. Sie hatte mir die Schuhe von einem ihrer Ausflüge zum Jahrmarkt von Stratford mitgebracht. Zwei Nummern zu groß waren sie damals gewesen, gerade recht für einen im Wachstum befindlichen Jungen, und ich war stolz darin herumgeschlurft, bis ich sie eines dunklen Morgens nach ihrem Tod anzog und merkte, dass sie passten. Bevor ich Dudley Castle verließ, hatte ich Fett hineingerieben, so wie sie es getan hatte. Ich hatte es aus dem gleichen Topf geschöpft, mit dem gleichen Holzlöffel …
    Die Kehle war mir wie zugeschnürt. Als ich noch in der Burg der Dudleys lebte, konnte ich mir einreden, sie sei noch bei mir, eine unsichtbare gute Fee. Morgens in der Küche, die ihr Reich war, nachmittags auf Cinnabar über die Felder reitend oder beim Lesen der vergessenen Dudley-Bücher in der Turmbibliothek – immer hatte es sich so angefühlt, als könnte sie mir jeden Moment auf die Schulter tippen und mich ermahnen, dass es Zeit sei, etwas zu essen.
    Aber hier war sie so weit entfernt, als hätte ich die Segel in Richtung Neue Welt gesetzt. Zum ersten Mal im Leben hatte ich hier eine Stellung und die Möglichkeit, mir eine bessere Zukunft zu schaffen, und ich war so nörgelig wie ein Baby bei der Taufe.
    Bei der Erinnerung an einen ihrer Lieblingssprüche fasste ich neuen Mut. Sie hatte immer gesagt, ich könnte alles erreichen, was ich mir ernsthaft vornähme. Allein schon um ihres Andenkens willen musste ich mehr tun, als nur zu überleben. Ich musste Erfolg haben. Wer konnte schließlich wissen, was die Zukunft bereithielt? So lächerlich die Vorstellung jetzt noch schien, war es doch nicht undenkbar, dass ich mir eines Tages die Freiheit von der Knechtschaft verdienen konnte. Wie Cecil so richtig bemerkt hatte, konnten im England unserer Tage sogar Findelkinder zu Ruhm und Ehren gelangen.
    Schnell schlüpfte ich aus den verschmutzten Kleidern, sorgsam darauf bedacht, Guilford den Rücken zuzukehren, während ich mich mit dem Rest des Wassers wusch und dann umzog. Als ich mich zu ihm umdrehte, fand ich ihn hilflos in sein Wams verstrickt, mit schief sitzendem Hemd, die Hose um die Knie.
    Ohne weiterer Anweisung zu bedürfen, trat ich hinzu, um ihm Beistand zu leisten.

4
    Obwohl Guilford schon seit über drei Jahren am Hof war, in denen er sich vermutlich nicht nur mit der Befriedigung seiner Gelüste befasst hatte, brachte er es fertig, dass wir uns innerhalb von Sekunden verliefen. Ich malte mir aus, wie man uns Jahrhunderte später entdecken würde, zwei Skelette, meine Hände um seinen Hals geklammert, und nahm es auf mich, jemanden nach dem Weg zu fragen. Dank einer Goldmünze, die ich dem murrenden Guilford abknöpfte, brachte ein Page uns zum Südeingang des Thronsaals, wo die Söhne des Herzogs in ihren Prunkgewändern warteten. Nur der Älteste, Jack, war nicht zugegen.
    »Na endlich«, näselte Ambrose Dudley, der Zweitälteste. »Wir dachten schon, Brendan hätte dich ans Bett fesseln müssen, um dich anzuziehen.«
    Guilford grinste verächtlich. »Das soll er mal versuchen.«
    Die Brüder lachten. Mir fiel auf, dass Roberts Lachen nicht seine Augen erreichte. Sie schweiften unruhig durch den Saal, als erwartete er jemand Bestimmten.
    Henry Dudley, der jüngste, am wenigsten wohlgestaltete und daher der hinterhältigste der Brüder, schlug mir auf die Schulter, als wären wir die besten Freunde. Nicht ohne Genugtuung sah ich, dass ich jetzt einen Kopf größer war als er.
    »Und wie ist das werte Befinden, Waisenknabe?«, frotzelte er. »Du siehst aus, als wärst du keinen Zoll gewachsen.«
    »Nicht, soweit Ihr sehen könnt«, entgegnete ich mit einem gezwungenen Lächeln. Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Ich hätte auch Henry Dudley unterstellt werden können, der als Junge gern Katzen ertränkt hatte, um sie jaulen zu hören.
    »Nein«, fauchte
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