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Die Trinity-Anomalie (German Edition)

Die Trinity-Anomalie (German Edition)

Titel: Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Autoren: Sean Chercover
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starrte das Foto von Lucien Drapeau an, das er ans Armaturenbrett geheftet hatte. Er prägte sich jedes Detail ein und stellte sich das Gesicht aus verschiedenen Blickwinkeln vor. Trinity saß auf der Rückbank und machte Small Talk, während Pat am Steuer saß und Witze riss. Daniel versuchte, den beiden zuzuhören, und schnappte auch genug auf, um die eine oder andere scherzhafte Bemerkung einzuwerfen, aber leicht fiel es ihm nicht.
    In der Nacht zuvor, in Julias Armen, hatte er eine vielversprechende Zukunft für sich vorausgesehen. Er hatte noch ein Leben vor sich, ein weltliches Leben, das nicht der Autorität der Kirche unterlag, und eine echtere, wenn auch weniger klar definierte Beziehung zu Gott. Das Leben eines freien Mannes, mit aller Verantwortung und allen Unwägbarkeiten, die dies mit sich brachte.
    Das war das Leben, das er wollte. Er wollte erleben, was für einen Menschen diese neue Welt aus ihm machte.
    Und jetzt, wo er diese Möglichkeit hatte, setzte er alles aufs Spiel.

    Eine Gruppe von Leuten hatte sich in glühender Hitze im Ninth Ward auf dem Mittelstreifen vor der Bethel African Methodist Episcopal Church zusammengefunden. Insgesamt etwa hundertzwanzigLeute, jung und alt, betrunken oder nüchtern, manche in Sonntagskleidung, andere in dreckigen Jeans und verschlissenen T-Shirts; und wieder andere sahen aus, als kämen sie gerade von einer Voodoo-Zeremonie.
    Daniel betrachtete die Menge, während Pat den Wagen zum Stehen brachte. Es war keine riesige Menschenansammlung, aber für den Anfang nicht schlecht.
    Besonders beeindruckend waren die Mardi-Gras-Indianer, die in glitzernden Pailletten und schimmernden Perlen in einem flirrenden Farbenmeer aus Grün und Gelb, Rot und Blau, Rosa und Lila durch die Menge tanzten, in der feuchtheißen Brise ihren gewaltigen Federschmuck schüttelten und die Kinder zum Lachen brachten.
    Tim Trinity sprang aus dem Fond des Wagens, und Angelica Ory begrüßte ihn mit einer innigen Umarmung und nahm ihn mit zu den anderen Leuten.
    Pat zog den Schlüssel aus der Zündung. »Letzte Chance, diese hirnrissige Aktion abzublasen.«
    Daniel betrachtete die Szene durch die Windschutzscheibe. Sein Onkel tanzte mit einem Indianerhäuptling und schnitt Grimassen in Richtung zweier kleiner Jungen, die sich bei dem Anblick vor Lachen schüttelten. »Will ich aber nicht«, sagte er.
    »Okay.« Pat nahm seinen Rucksack und gab Daniel ein Walkie-Talkie, das mit einer Hörmuschel verbunden war. »Zum Sprechen musst du drücken, und wenn du beide Hände freihaben willst, kannst du das Walkie-Talkie im Sprechmodus feststellen, indem du den Hebel umlegst.« Daniel steckte sich das Gerät vorn seitlich an den Gürtel – an der anderen Seite trug er die Waffe – und stöpselte die Hörmuschel in sein Ohr. Pat drückte den Knopf an seinem Walkie-Talkie. »Kannst du mich hören?«
    Daniel nickte. »Ziemlich laut.«
    »Gut.« Pat zeigte auf das Foto am Armaturenbrett. »Schau es dir in Ruhe an«, sagte er. »Tims Leben hängt davon ab, dass du diesen Dreckskerl erkennst.«
    Daniel hatte während der ganzen Fahrt das Foto angestarrt. Darum hatte er auch Pat gebeten zu fahren. Trotzdem nahm er sichnoch eine Minute Zeit, um das Gesicht des Mannes zu studieren, der aus Montreal gekommen war, um seinen Onkel zu ermorden.
    Dann nickte er zu sich selbst, riss das Foto vom Armaturenbrett, steckte es in die Tasche und setzte seine Sonnenbrille auf.
    Auch Pat setzte eine dunkle Brille auf, dann holte er eine lindgrüne Plastikmelone aus dem Rucksack, setzte sie auf und sagte: »Sei ganz ehrlich, sieht mein Hintern dick darin aus?«
    Daniel musste grinsen. »Überhaupt nicht«, sagte er. »Der Hut macht dich schlank.«
    »Damit siehst du mich in der Menge besser.« Pat öffnete die Autotür. »Also dann wollen wir mal.«

    Reverend Tim Trinity und Mambo Angelica Ory liefen zusammen los und die Leute folgten ihnen – die Caffin Avenue entlang, vorbei an ein- und zweigeschossigen Wohnhäusern, manche mitten in der Renovierung, mit Wohnwagen in der Auffahrt oder auf dem Rasen; andere waren noch immer mit Brettern zugenagelt und trugen die von Soldaten nach der Überschwemmung aufgesprühten Zeichen mit der Anzahl der dort gefundenen Toten.
    Wie die Voodoo-Symbole der Verdammten …
    Aber andere Häuser erzählten eine positivere Geschichte – vom Durchhalten und von Wiedergeburt, von der hartnäckigen Hoffnung, dass morgen ein besserer Tag wird als heute. Diese Häuser standen fest und
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