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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition)
Autoren: Tereza Vanek
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Gefährtin
blickte sich verwirrt um, als spürte sie die Gegenwart eines unsichtbaren
Wesens. Mit misstrauischem Blick malte sie das Zeichen des Kreuzes in die Luft.
Als der Fürst sie verwirrt ansah, erklärte sie, heidnische Geister seien in der
Nähe. Eine Vila vielleicht.
    Offenbar hatten
die Christen Angst vor dem alten Glauben. War es ihnen doch nicht gelungen, ihn
vollständig auszurotten?
    Libussa
beschloss, die Frau nicht länger zu erschrecken. Sie flog wieder dem Himmel
entgegen. Praha würde nicht untergehen, sondern zu der großen, prächtigen Stadt
werden, die sie in ihren Träumen gesehen hatte. Wenn Christen solche Schönheit
schaffen konnten, dann war nicht alles, was sie taten, schlecht.
    Sie stieg
weiter, in schwindelerregende Höhen hinauf.
    Ob man sich wohl
an mich erinnern wird oder nur an diesen Borivoj?, dachte sie noch. Falls mein
Name nicht in Vergessenheit gerät, dann schreiben die Schriftkundigen
vielleicht eines Tages über mich. Männer wie jener dunkelhäutige Händler, der
damals bei uns war und urteilte, ohne viel zu wissen. Was werden sie aus meiner
Geschichte machen?
    Je weiter sie
sich dem Himmel näherte, desto größer wurde ihre Erschöpfung. Schließlich war
sie nicht mehr in der Lage, die Augen offen zu halten. Die Finsternis empfing
sie so warm und befreiend wie Premysls Umarmung.
     
     

Der Libussa-Mythos
     
    Ein Text aus dem 10. Jahrhundert
berichtet von einer Seherin, die das tschechische Volk von einer Seuche
befreit, den Bau der Prager Burg veranlasst und anschließend mit Premysl, dem
Pflüger, die Dynastie der Premysliden gründet. Namentlich wird Libussa erstmals
in der „Cronica Boemorum“ von Cosmas von Prag erwähnt, einem Werk, das zu
Beginn des 12. Jahrhunderts entstand. Hier treten auch Kazi, Thetka und Krok
auf. Der Autor meint, Kazis Grabhügel wäre noch zu besichtigen – ob das zu
seinen Lebzeiten wirklich der Fall war, ist nicht beweisbar – und erwähnt auch
ein Sprichwort, das damals angeblich verbreitet war. Galt ein Problem als
unlösbar, so meinte man: „Das hätte selbst Kazi nicht in Ordnung gebracht.“ Im
Laufe späterer Jahrhunderte wurde der Stoff immer wieder literarisch bearbeitet
und mit zahlreichen Details ausgeschmückt. Jiraseks „Böhmens alte Sagen“ von
1894 ist wohl die bekannteste Fassung, die noch heute in tschechischen Schulen
gelesen wird.
               
Zu kommunistischen Zeiten galt diese Sage als Volksüberlieferung und musste
folglich wahr sein, denn das einfache Volk log schließlich nicht. Erst Vladimir
Karbusicky focht sie in den 60er Jahren vehement an und meinte, der gelehrte Cosmas
hätte aus den verschiedensten Quellen geschöpft, um sich Geschichten über das
vorchristliche Böhmen auszudenken, von dem nichts mehr bekannt war. Die moderne
Geschichtsforschung betrachtet den Wahrheitsgehalt der Sage ebenfalls mit
Skepsis. Die tatsächliche historische Entwicklung im Böhmen des 7. und 8.
Jahrhunderts – jener Zeitspanne, in der die Ereignisse um Libussa irgendwann
stattgefunden haben müssten – liegt im Dunkeln.
    Mir scheint es
am wahrscheinlichsten, dass Cosmas von Prag tatsächlich einige mündliche
Überlieferungen aufgriff, die zu seinen Lebzeiten kursierten, diese aber nicht
wortwörtlich wiedergab, sondern literarisch bearbeitete. Es ist außerdem
fraglich, ob Ereignisse über mehrere Jahrhunderte hinweg völlig exakt mündlich
tradiert werden. Wie alle Sagen kann die Geschichte über Libussa nur einen
Hinweis geben, was vielleicht stattgefunden haben mag. Deshalb schien es mir
legitim, bestimmte Details der Sage, insbesondere die
Verwandtschaftsverhältnisse unter einigen der Figuren, für meine Zwecke zu
ändern.
               
An dieser Geschichte, die ich seit meiner Kindheit kenne, hat mich stets die
Schilderung eines Übergangs von der Frauenherrschaft zu männlicher Dominanz
fasziniert. Es gab selbst in strikt patriarchalen Gesellschaften manchmal
Herrscherinnen, doch diese änderten kaum etwas an der Stellung der Frau. Hier
jedoch folgt auf Libussas Tod ein Aufstand aller Frauen, da die Macht in
männliche Hände übergeht. Gelegentlich wurde darauf hingewiesen, dass die Sage
eine matriarchale Gesellschaftsform schildert. Diese Idee wurde auch als Beweis
angeführt, dass Cosmas tatsächlich die Wahrheit schrieb – denn er konnte von
Matriarchaten doch nichts wissen und hätte sich daher wohl kaum eines
ausgedacht. Karbusicky tut dies als romantisches Hirngespinst ab und
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