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Die Totgesagten

Titel: Die Totgesagten
Autoren: Camilla Läckberg
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Über dieses Arrangement hat es ein bisschen Gerede gegeben, aber ich weiß nichts …«
    Patrik seufzte. »Wir müssen hinfahren und uns vorsichtig herantasten.«
    Wenige Minuten später klopften sie an Marits Wohnungstür. Ein Blick ins Telefonbuch hatte gezeigt, dass sie ein paar hundert Meter von der Polizeidienststelle entfernt in einem Hochhaus wohnte. Patrik und Martin atmeten schwer. Dies hier gehörte zu den meistgehassten Aufgaben bei der Polizeiarbeit. Erst als sie hinter der Tür Schritte hörten, wurde ihnen bewusst, dass es gar nicht so selbstverständlich war, mitten am Nachmittag jemand zu Hause anzutreffen.
    DieFrau in der Tür wusste sofort, worum es ging. Martin und Patrik sahen es an ihrer plötzlichen Blässe und der Art, wie ihre Schultern resigniert herabsackten.
    »Es geht um Marit, oder? Ist was passiert?« Ihre Stimme zitterte. Sie machte einen Schritt zur Seite und ließ Patrik und Martin in den Flur.
    »Ja, wir müssen Ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen. Marit Kaspersen ist bei einem Verkehrsunfall … ums Leben gekommen«, erklärte Patrik mit leiser Stimme. Die Frau stand reglos da. Als wäre sie in dieser Haltung erstarrt und nicht mehr in der Lage, Impulse vom Gehirn an ihre Muskeln zu schicken. Ihr Kopf war vollkommen damit beschäftigt, die Nachricht zu verarbeiten.
    »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?« Ohne die Antwort abzuwarten, bewegte sie sich wie ein Roboter in die Küche.
    »Sollen wir jemand anrufen?«, fragte Martin. Die Frau schien unter Schock zu stehen. Ständig strich sie sich die kinnlangen Haare hinter die Ohren. Sie war auffallend schmal und trug Jeans und einen schön gemusterten Norwegerpullover mit großen, verzierten Silberknöpfen.
    Kerstin schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe niemand. Außer Marit. Und natürlich Sofie. Aber die ist bei ihrem Vater.«
    »Marits Tochter?«, erkundigte sich Patrik. Kerstin hatte drei Tassen Kaffee eingeschenkt und schwenkte eine Tüte Milch. Patrik lehnte kopfschüttelnd ab.
    »Ja. Sie ist fünfzehn. Diese Woche ist sie bei Ola. Sie wohnt abwechselnd bei Marit und bei Ola in Fjällbacka.«
    »Waren Marit und Sie eng befreundet?« Patrik war nicht zufrieden mit seiner Formulierung, aber er wusste nicht, wie er sich dem Thema sonst hätte nähern sollen. Während er auf die Antwort wartete, trank er einen Schluck Kaffee. Er schmeckte gut, sehr stark. So mochte er ihn am liebsten.
    An Kerstins gequältem Grinsen erkannte er, dass sie wusste, worauf er hinauswollte. Ihre Augen füllten sich mitTränen. »Wenn Sofie bei uns wohnte, waren wir Freundinnen. Wenn sie bei Ola wohnte, waren wir ein Liebespaar. Darüber haben wir …« Ihre Stimme überschlug sich, und Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie weinte ein bisschen, bekam aber nach einer Weile ihre Stimme wieder unter Kontrolle. »Darüber haben wir uns gestern Abend gestritten. Zum hundertsten Mal. Marit wollte sich nicht outen, aber ich wäre an den ganzen Lügen fast erstickt. Sie hat es auf Sofie geschoben, aber das war nur ein Vorwand. Sie war nur nicht bereit, sich den Blicken und dem Getuschel auszusetzen. Ich wollte ihr erklären, dass doch sowieso über uns geredet wurde. Selbst wenn am Anfang etwas mehr getratscht worden wäre, hätte sich das nach einer Weile gelegt. Davon bin ich fest überzeugt. Aber auf diesem Ohr war Marit taub. Sie hatte so lange ein normales Leben geführt, mit Ehemann, Kind, Einfamilienhaus, Wohnwagen und dem ganzen Mist. Dass sie auf Frauen stand, hatte sie total verdrängt. Als wir uns begegneten, hatte plötzlich alles wieder einen Sinn. Die Dinge passten einfach. So hat sie es jedenfalls ausgedrückt. Sie verließ Ola und zog zu mir. Aber sie hatte nicht den Mut, es zu zeigen. Darüber haben wir uns gestern gestritten.« Kerstin nahm sich eine Papierserviette und putzte sich geräuschvoll die Nase.
    »Wann hat sie die Wohnung verlassen?«
    »Gegen acht. Viertel nach, glaube ich. Mir war klar, dass etwas passiert war, sonst wäre sie niemals die ganze Nacht weggeblieben. Aber man ruft ja nicht gleich die Polizei. Ich dachte, sie hätte vielleicht jemand besucht oder würde draußen herumlaufen oder … Nein, eigentlich weiß ich nicht, was ich gedacht habe. Als Sie kamen, wollte ich es gerade bei den Krankenhäusern versuchen. Als Nächstes hätte ich Sie angerufen.«
    Sie begann wieder zu weinen und musste sich erneut die Nase putzen. Patrik sah, wie sich Trauer und Schmerz mit Selbstvorwürfen vermischten. Er wünschte, er
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