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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1
Autoren: franklin
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in Dreck und Dunkelheit und Ketten – und es gelang ihr nicht. Und sie konnte auch ihre Sorge nicht verdrängen. Sie war Ärztin, und echte Ärzte fällten keine Urteile, sie stellten Diagnosen. Sie hatte die Wunden und Krankheiten von Männern und Frauen behandelt, die sie menschlich anwiderten, aber nicht beruflich. Das Wesen eines Menschen konnte abstoßend sein, nicht jedoch sein leidender bedürftiger Körper.
    Die Nonne war wahnsinnig; zum Schutz ihrer Mitmenschen musste sie für den Rest ihres Lebens in Verwahrung bleiben. Aber … »Der Herr erbarme sich ihrer und sei ihr gnädig«, sagte Adelia.
    Gyltha sah sie an, als hätte auch sie den Verstand verloren. »Sie hat bekommen, was sie verdient«, stellte sie gleichmütig fest. »Sagen die Leute.«
    Ulf, o Wunder, lernte für die Schule. Er war stiller und ernster als früher. Gyltha hatte ihr erzählt, dass er den Wunsch geäußert habe, das Recht zu studieren. Sehr erfreulich und bewundernswert, aber trotzdem vermisste Adelia den alten Ulf. »Die Klostertore sollen verschlossen sein«, erklärte sie ihm, »aber ich muss hinein, um nach Walburga zu sehen. Sie ist krank.«
    »Was? Schwester Speckgesicht?« Ulf war schlagartig wieder der Alte. »Komm mit, mich können die nich aussperren.«
    Sie konnte sich darauf verlassen, dass Gyltha und Mansur die restlichen Patienten behandelten. Adelia ging zu ihrer Arzneikiste. Frauenschuh half ausgezeichnet bei Hysterie, Panik und Angst. Und Rosenöl beruhigte.
    Sie machte sich mit Ulf auf den Weg.

    Oben auf der Brustwehr der Burg erkannte ein Steuereintreiber, der sich eine wohlverdiente Erholungspause von den Anstrengungen der Assise gönnte, die beiden zarten Gestalten, die unten die Große Brücke überquerten – die etwas größere mit der unansehnlichen Kopfbedeckung hätte er auch unter Tausenden erkannt.
    Die Zeit war günstig, solange sie unterwegs war. Er ließ sich sein Pferd bringen.
    Warum Sir Rowley Picot nicht anders konnte, als sich bei Gyltha, Aalhändlerin und Haushälterin, Ratschläge für seingebrochenes Herz zu holen, war ihm selbst ein Rätsel. Vielleicht, weil Gyltha in Cambridge die engste Freundin seiner großen Liebe war. Vielleicht, weil sie mitgeholfen hatte, ihn zurück ins Leben zu pflegen, weil sie ein Urgestein gesunden Menschenverstandes war, vielleicht wegen der pikanten Verstöße gegen die Wohlanständigkeit in ihrer Vergangenheit … er tat es einfach, sei’s drum.
    Unglücklich kaute er auf einer von Gylthas Pasteten.
    »Sie will mich nicht heiraten, Gyltha.«
    »Klar will sie nich. Wär auch Verschwendung. Sie ist …« Gyltha suchte nach einem Vergleich mit irgendeinem Fabelwesen, kam aber nur auf »Einhorn«, daher begnügte sie sich mit:
    »Sie ist was Besonderes.«
    »Ich bin auch was Besonderes.«
    Gyltha streckte die Hand aus und tätschelte Sir Rowley den Kopf. »Du bist ein feiner Junge und wirst es weit bringen, aber sie ist …« Wieder wollte sich kein Vergleich anbieten. »Unser Herr hat die Form zerschlagen, nachdem Er sie gemacht hat. Wir brauchen sie, wir alle, nicht bloß du.«
    »Und ich werde sie verdammt noch mal nicht bekommen, was?«
    »Vielleicht nicht als Ehefrau, aber es führen schließlich viele Wege nach Rom.« Gyltha hatte schon vor einiger Zeit erkannt, dass dieses spezielle Rom zwar etwas Besonderes sein mochte, aber trotzdem hin und wieder einmal erobert werden sollte und gewiss auch wollte. Eine Frau konnte ihre Unabhängigkeit bewahren, genau wie sie selbst es getan hatte, und sich trotzdem Erinnerungen verschaffen, die sie in Winternächten warm hielten.
    »Großer Gott, Frau, was schlägst du da vor …? Meine Absichten bezüglich Mistress Adelia sind … waren …
ehrbar.«
    Gyltha seufzte. Sie war noch nie der Auffassung gewesen, dassein Mann und eine Frau im Frühling Ehrbarkeit brauchten. »Das ist nett. Bringt dich aber nich weiter, oder?«
    Er beugte sich vor. »Also gut. Wie?« Und die Sehnsucht in seinem Gesicht hätte auch ein härteres Herz als das von Gyltha zum Schmelzen gebracht.
    »Meine Güte, wie kann ein kluger Mann wie du nur so blöd sein? Sie ist Ärztin, hab ich Recht?«
    »Ja, Gyltha.« Er versuchte, geduldig zu sein. »Und genau deshalb, möchte ich anmerken, will sie mich nicht.«
    »Und was machen Ärzte so?«
    »Sie kümmern sich um ihre Patienten.«
    »Genau, und ich könnte mir vorstellen, dass eine bestimmte Ärztin zu einem bestimmten Patienten zärtlicher wäre, vorausgesetzt, dass es diesem Patienten schlecht
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