Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1
Autoren: franklin
Vom Netzwerk:
habe ich die Tücher?« Sie kramte in der Ziegenledertasche herum, die ihre wichtigsten Utensilien enthielt.
    »Nur noch einmal zur Klarstellung«, sagte Simon bemüht ruhig. »Ihr habt diese Operation selbst noch nicht durchgeführt und auch nicht dabei zugesehen?«
    »Nein, das habe ich doch schon gesagt.« Sie blickte auf. »Gordinus hat einmal davon gesprochen. Und Gerschom, mein Pflegevater, hat mir den Eingriff nach einem Aufenthalt in Ägypten beschrieben. Er hat ihn auf alten Grabmalereien dargestellt gesehen.«
    »Alte ägyptische Grabmalereien.« Simon sprach jedes Wort betont deutlich aus. »Die waren hoffentlich farbig, ja?«
    »Ich sehe keinen Grund, warum es nicht klappen sollte«, sagte sie. »Nach dem, was ich über die männliche Anatomie weiß, ist das eine durchaus logische Maßnahme.«
    Sie marschierte los. Simon sprang vor und hielt sie auf. »Doktor, lasst uns diese Logik noch ein wenig weiter verfolgen, ja? Ihr wollt eine Operation durchführen, die möglicherweise
gefährlich
ist …«
    »Ja. Ja, ist sie bestimmt.«
    »… und zwar an einem einflussreichen Prälaten. Seine Freunde warten da unten auf ihn …«, Simon aus Neapel deutete den dunkler werdenden Hang hinab, »… und nicht alle von ihnen sind überglücklich über unsere Einmischung in diese Angelegenheit. Wir sind Fremde für sie, wir haben in ihren Augen keinerlei Ansehen.« Er musste sich ihr in den Weg stellen, damit sie zuhörte, weil sie sonst weiter Richtung Planwagen gegangen wäre. »Es wäre möglich, ich sage nicht, dass es so sein wird, aber es wäre möglich, dass diese Freunde eine ganz eigeneLogik haben und uns drei, sollte der Prior dahinscheiden, aufhängen, wie man nasse Wäsche ganz logisch an einer Wäscheleine aufhängt. Ich frage noch einmal, sollten wir der Natur nicht ihren Lauf lassen? Das ist nur eine Frage.«
    »Der Mann
stirbt
, Master Simon.«
    »Ich …« In diesem Moment fiel das Licht von Mansurs Laternen auf ihr Gesicht, und Simon trat resigniert zurück. »Ja, meine Bekka würde dasselbe tun.« Rebekka war seine Frau und sein Maßstab für menschliche Wohltätigkeit. »Tut es, Doktor.«
    »Ich werde Eure Hilfe benötigen.«
    Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Ihr bekommt sie.« Er ging seufzend mit ihr und raunte halblaut: »Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn die Natur ihren Lauf nähme, Herr? Ich frage ja nur.«
    Mansur wartete, bis die beiden in den Wagen geklettert waren, dann lehnte er sich mit dem Rücken dagegen, verschränkte die Arme und hielt Wache.
    Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne erloschen, aber der Mond hielt sich noch zurück, so dass der Hügel und das Land drum herum im Dunkeln lagen.

    Unten am Straßenrand löste sich eine massige Gestalt aus der Gruppe um das Feuer der Pilger, als verspürte sie ein menschliches Bedürfnis. Ungesehen sprang sie in der Finsternis mit einer bei ihrem Gewicht unerwarteten Behändigkeit über den Graben und verschwand in dem Buschwerk neben der Schneise, die den Hang hinaufführte. Während sie zu der Terrasse hinaufschlich, auf der der Wagen stand, fluchte sie leise über die Dornen, die an ihrem Umhang rissen, und sog immer wieder prüfend die Luft ein, um sich von dem Gestank der Maultiere leiten zu lassen, und von dem schwachen Lichtschein, der manchmal zwischen den Bäumen zu sehen war.
    Sie blieb stehen und lauschte auf das Gespräch der beiden Ritter, die außer Sichtweite des Wagens wie imposante Statuen auf dem Fahrweg standen. Die Nasenteile ihrer Helme machten ihre Gesichter unkenntlich.
    Sie hörte, wie einer von ihnen von der Wilden Jagd sprach. »… der Teufelshügel, keine Frage«, erwiderte sein Gefährte klar und deutlich. »Kein Bauer wagt sich hier in die Nähe, und ich wünschte, wir hätten es auch nicht getan. Da nehm ich’s doch jederzeit lieber mit den Sarazenen auf.«
    Der Lauscher bekreuzigte sich und stieg höher, suchte sich mit großer Sorgfalt seinen Weg.
    Ungesehen passierte er den Araber, eine weitere Statue im abendlichen Dämmer. Schließlich erreichte er eine Stelle, von wo aus er auf den Wagen hinunterblicken konnte, der durch die Laternen in seinem Innern aussah wie ein leuchtender Opal auf schwarzem Samt.
    Er duckte sich tief. Um ihn herum raschelte und wisperte das gleichmütige Getier im Unterholz. Über ihm stieß eine Schleiereule ihren Jagdschrei aus.
    Plötzlich waren Stimmen aus dem Wagen zu hören. Eine helle, klare: »Lehnt Euch zurück; es dürfte nicht wehtun. Master
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher