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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder
Autoren: Juliet Marillier
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verrückt sein.«
    Wütend wandte ich mich meinem Bruder zu.
    Warte noch einen Augenblick, kam Finbars lautlose Warnung, und ich hielt meine zornigen Worte zurück.
    Und dann stand mein Vater auf.
    »Binde seine Hände los, Sorcha«, sagte er ernst. »Nimm die Binde ab, die um seine Augen liegt. Das hier ist deine Entscheidung, deine Wahl. Du bist nun eine Frau. Das Opfer, das du für deine Brüder gebracht hast, hat dir das Recht verschafft, deinen eigenen Weg zu wählen, ob er uns nun gefällt oder nicht.«
    Liam setzte dazu an, etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber. Lord Colum war immerhin noch Herr von Sevenwaters. Im Raum hing das Schweigen tiefster Erwartung. Der Rote hatte die Worte meines Vaters nicht verstanden.
    Ich ging zu ihm, stellte mich vor ihn und griff um ihn herum, um den Knoten zu lösen, der die Augenbinde hielt. Das tat ich mit der rechten Hand; aber mit der linken, an der ich den Ring trug, berührte ich seinen Nacken, wo die Haut zwischen Hemd und Haar sichtbar war. Der Rote hielt die Luft an.
    »Schneide die Fesseln durch«, sagte er mit einer Stimme, die mich zittern ließ. Ich bückte mich und nahm das kleine Messer von dort, wo ich gewusst hatte, dass es sein würde, verborgen im Lederstiefel, und trat hinter ihn und schnitt zweimal in das feste Seil, das seine Hände band. Er stand auf, drehte sich um und nahm mich in die Arme, als wollte er mich nie wieder gehen lassen. Ich spürte seine Lippen auf meiner Stirn, denn selbst jetzt noch hielt er sich zurück. Selbst jetzt war er meiner offenbar unsicher. Aber sein Blick war nicht mehr eiskalt, nicht länger beherrscht. Stattdessen blitzten diese Augen blau wie ein Sommerhimmel, und die Botschaft in ihnen war deutlich zu lesen und deutlich zu beantworten. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, nahm sein Gesicht zwischen meine Handflächen und zog seinen Kopf nach unten, so dass ich seinen festen, störrischen, unnachgiebigen Mund küssen konnte. Ich hatte keine Übung in dieser Kunst, aber es gelang mir recht gut; Padraic sagte später, Liam sei errötet, was nicht leicht geschah. Es war ein Kuss, dessen ich mich selbst nicht fähig gehalten hatte, ein Kuss, der ihm sofort sagte, wie meine Antwort lautete. Einen Augenblick lang wich er zurück und flüsterte: »Ich bin eines solchen Geschenks nicht würdig, Jenny.« Aber ich legte meine Finger auf seine Lippen. »Mein Liebster«, flüsterte ich, »ich werde es dir und keinem anderen geben.« Dann erwiderte er meinen Kuss und zeigte mir die Tiefe seiner Leidenschaft, und es waren nicht nur meine eigenen salzigen Tränen, die flossen, als er mir übers Haar strich und mich dichter an sich zog, so dass ich die Kraft seiner Begierde spürte. Das war das Ende einer langen und schwierigen Reise für uns beide, und die süße Erregung, die durch jede Faser meines Körpers zog, sagte mir, dass es sich gleichzeitig um den Anfang eines neuen Lebens handelte.
    »Ähem.« Mein Vater räusperte sich und zwang uns, uns unserer Umgebung wieder bewusst zu werden. Wir schauten uns verwirrt um. Die Küche war beinahe leer; wir hatten nicht gehört, wie alle außer Vater und dem schweigenden Finbar gegangen waren.
    »Such deinem Mann einen warmen Schlafplatz, Tochter«, sagte mein Vater mit einem kleinen Lächeln, obwohl in seinem Blick schmerzliche Erinnerungen standen. »Morgen haben wir genug Zeit, uns weiter zu unterhalten.« Dann raffte er seinen Umhang um sich und ging nach draußen, gefolgt von Finbar. Mein Bruder blieb in der Tür stehen, die weißen Federn seines Flügels rosig-gold im Kerzenlicht, und diesmal sprach er laut.
    »Diese Geschichte hat endlich ein Ende gefunden«, sagte er. »Seid glücklich. Ihr habt einander verdient. Das Geschenk der Liebe wird nur wenigen gegeben.«
    Der Rote drückte seine Lippen auf mein Haar. Ich sah zu, wie Finbar wie ein Schatten aus der Tür schlüpfte. Dann griff ich nach der Hand meines Mannes und führte ihn in mein eigenes Schlafquartier, wo jemand ein Feuer in der kleinen Feuerstelle entfacht und Kerzen und Wein und Kelche und ein Büschel getrockneten Lavendels hinterlassen hatte. Ich konnte hören, wie schwer es dem Roten fiel, seinen Atem zu beherrschen, und es ging mir nicht viel besser.
    »Ich … ich habe Angst, dir wehzutun«, sagte er. »Aber … aber ich brauche dich, Jenny, ich sehne mich so nach dir, ich glaube nicht, dass ich …«
    »Still«, sagte ich. »Es ist schon gut, es wird alles gut.«
    ***
    Das wirkliche Leben ist nicht ganz
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