Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
der kleinen roten Blume. Marie, die mir ein Lied sang, als sie ihren Hals noch hatte. Die hübsche Frances. Und die eine, die sich einmischte, eine farblose Rothaarige …«
    Fiona kannte diese Namen. Es waren alle Prostituierte. Außer einer, der farblosen Rothaarigen. Sie sank auf die Knie, die Angst hatte sie verlassen. Er war nur noch ein kleines Stück von ihr entfernt. Ein schrecklicher Gedanke dämmerte ihr. »Sie sind Jack?« keuchte sie.
    Ihr Blick traf den seinen. Seine Augen waren dunkler als die Nacht. Glänzend, schwarz und wahnsinnig.
    »… du bist fortgerannt, aber ich hab dich gefunden. Mein Messer ist scharf und zu neuen Taten bereit. Du entkommst nicht, ich reiß dir das Herz raus, reiß es raus …«
    »Sind Sie Jack?«
    Er hob das Messer.
    »Antworten Sie mir, verdammt!« schrie sie gellend.
    Ein scharfer Knall zerriß die Luft. Dann noch einer und noch einer. Sechs im ganzen. Burtons Körper zuckte bei jedem Schuß. Ein paar Sekunden stand er bewegungslos da, dann kippte er nach vorn und stürzte hin. Hinter ihm stand ein Mann mit einer Pistole in der Hand. Fiona sah von der Pistole auf Burton, auf das Blut, das aus seinem Mund und den Löchern in seinem Körper quoll. Dann begann sie zu schreien und konnte gar nicht mehr aufhören. Mit geschlossenen Augen kauerte sie sich an die Steinmauer, doch sie spürte Hände unter den Armen, die sie hochzogen. »Kommen Sie, Mrs. Soames, wir müssen gehen«, sagte ein Mann. Oliver’s war inzwischen ein Inferno.
    »Nein«, rief sie aus und kroch, wahnsinnig vor Angst und Schmerz, weg.
    Ein durchdringendes metallischen Quietschen ertönte, als sich eine Winde aus der Verankerung löste, auf das Dock hinunterkrachte und Holzsplitter durch die Luft flogen. Der Mann riß Fiona auf die Füße und zog sie weiter ins Wasser.
    »Joe!« schrie sie außer sich und taumelte in Richtung der Pfeiler. »Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich los!«
    Der Mann hielt sie fest. »Schon gut, Mrs. Soames. Wir haben ihn. Er ist im Boot. Jetzt kommen Sie.«
    Fiona schüttelte den Kopf und sah zu dem Mann auf. Er war jung und muskulös und hatte eine Narbe am Kinn. »Ich kenne Sie«, sagte sie. »Sie sind Tom. Tom Smith vom Friedhof.«
    Tom Smith lächelte.
    »Wie sind Sie hierhergekommen? Hat Roddy Sie geschickt? Mein Onkel Roddy?«
    Tom lachte. »Kaum. Sid Malone hat uns geschickt. Er hat nach Ihnen Ausschau gehalten. Zum Glück für Sie.«
    Sid Malone. Der Mann, der ihr einmal Gewalt hatte antun wollen. Der Bowler Sheehan getötet hatte. Was wollte er von ihr? Der Gedanke, mit den Handlangern von Malone in ein Boot zu steigen, gefiehl ihr gar nicht, aber sie hatte keine Wahl.
    Tom führte sie zum Bootsrand. Es war ein großer Fährkahn. Sofort griffen Hände nach unten und zogen sie aus dem hüfthohen Wasser. Als sie im Boot waren, tauchten die Ruder ein, und der Kahn entfernte sich von dem brennenden Lagerhaus. Im Boot waren fünf Männer – zwei neben ihr im Heck, zwei an den Rudern und einer, mit dem Rücken zu ihr, am Bug.
    »Wo ist Joe? Wo ist er?« fragte sie und sah in die beiden unbekannten Gesichter. Tom deutete hinter sich. Joe lag mit geschlossenen Augen auf dem Boden des Kahns und war mit einer Decke zugedeckt. Als sie sich neben ihn kniete, merkte sie, daß er große Schmerzen hatte. Sie nahm seine Hand und drückte sie, verängstigt über seine Blässe, an ihre Wange. Dann wandte sie sich wieder an Tom. »Danke«, sagte sie zu ihm. »Ich weiß zwar immer noch nicht, wie und warum Sie das getan haben, aber ich danke Ihnen.«
    »Das war nicht ich, Mrs. Soames«, antwortete Tom und machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung der Gestalt am Bug.
    »Mr. Malone«, sprach sie ihn von hinten an und versuchte, ruhig zu klingen und keine Angst zu zeigen. Er antwortete nicht. »Sir, wo bringen Sie uns hin? Mein Freund braucht einen Arzt.«
    »Man wird sich um ihn kümmern«, erwiderte der Mann.
    Er sprach mit starkem Cockney-Akzent. Und klang vertraut. Sehr vertraut.
    »Sie verstehen nicht, glaube ich. Er muß ins Krankenhaus.« Sie berührte seinen Arm. »Mr. Malone?«
    Er nahm die Mütze ab und drehte sich um.
    Fiona rang nach Luft. Ihre Beine gaben nach. Wenn Tom sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie zu Boden gestürzt. »Das kann nicht sein«, flüsterte sie. »O Gott, das kann nicht sein …«
    »Hallo, Fiona«, sagte die Stimme.
    Die Stimme eines toten Mannes.
    Die Stimme eines Geistes.
    Die Stimme ihres Bruders Charlie.

   84   
    D ie Verkaufszahlen der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher