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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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Halskette und drehte eine längliche Perle zwischen den Fingern, als würde sie in dieser vertrauten Geste Halt suchen. Im Gegensatz zu den anderen Tauchern, die sich nur mit vollkommenen Perlen und Korallen schmückten, schien Sabin gerade am Gegenteil Gefallen zu finden: verdrehte, längliche Perlen, minderwertige Reststücke in bizarren Formen schmückten ihre Kette. Manche wie Katzenzähne gebogen, manche unförmige Perlmuttklumpen, keine einzige war rund. War es möglich, dass eine so vollkommene Schönheit wie Sabin das Unvollkommene liebte? Mit einem Mal wünschte sich Amber nichts so sehr, als dass Sabin sie mochte.
     
    *
     
    Die Sonne brannte auf das Meer und verwandelte das Wasser in einen Teppich aus blitzenden Juwelen. Sabin blinzelte kein einziges Mal, während sie Ausschau hielt. Die Sandbank lag weit draußen, doch schon im Herannahen erkannten sie die Silhouetten gestrandeter Schiffe. Wie ein dunkler Schmuck lagen sie vor der Sandbank, die durch das seichte Wasser leuchtete. Kisten dümpelten um die Wracks, aber auch Fensterläden, die Reste eines wertvollen, mit Gold verzierten Holzschranks und sogar zerbrochene Gielfässer. Amber atmete auf, als sie den sandigen Meeresgrund wieder erkennen konnte. Das beklemmende Gefühl, dass jeden Augenblick ein riesiges Maul aus der Tiefe hochschießen und das Boot packen könnte, wich von ihr. Zahlreiche Boote umrundeten die Wracks, die Berger waren bereits dabei, die Ruinen zu plündern.
    Nur wenige blickten zu dem Boot herüber, das zielstrebig an der Sandbank vorbeizog. Lediglich ein Seemann winkte. »He!«, schrie er. »Passt auf, wenn ihr über den Graben rudert! Dschellars und Strömung!«
    Amber drehte sich nach Tanijen um, aber er lächelte ihr nur beruhigend zu.
    »Wenn du Angst vor ein paar Dschellars hast, Petta, verkriech dich besser in eine Netzflickerei«, rief Sabin. Der Seemann lachte rau.
    Jenseits der Sandbank, die wie ein Damm wirkte, war das Wasser viel bewegter. Kleine Wellen schlugen gegen den Bootsrumpf und das Wasser wurde trübe und dunkel – zu dunkel für Ambers Geschmack. Langsam begannen ihre Muskeln zu schmerzen und auch Tanijen keuchte bereits vor Anstrengung. Nach einer Weile machten sie eine Pause und ließen das Boot treiben. Tanijen holte ein schmales Fernglas aus dem Köcher. Fasziniert beobachtete Amber, wie der Navigator das Meer absuchte. Nach einer Weile verharrte er.
    »Da hinten!«, rief er. »Sieht aus wie eine Mastspitze.«
    Inu kletterte auf die Ruderbank und nahm wortlos Tanijens Platz ein. Es war erstaunlich, wie die beiden Männer es schafften, auf demselben Boot zu sein und sich dennoch aus dem Weg zu gehen.
    Sie ruderten langsam gegen eine leichte Seitenströmung.
    »Ich sehe sie!« Sabin sprang auf und brachte das Boot damit gefährlich zum Schaukeln. Amber klammerte sich an das Ruder und hoffte, niemand würde ihren Schreck bemerken. Doch die drei starrten konzentriert zu einer Mastspitze, die weit – viel zu weit entfernt von der Sandbank! – aus dem Wasser ragte. Ruderschlag auf Ruderschlag glitten sie näher an den Mast heran. Amber warf einen besorgten Blick über die Schulter.
    Die zerfetzte Fahne an der Mastspitze lappte im Wind wie der Flügel eines verendenden Vogels. Mit einem Ruck stieß das Boot an den Mast. Inu schlang ein dünnes Seil um das Holz. Amber holte das Ruder ein und ließ erleichtert den Griff los. Blasen pochten an den Fingern. Tanijen seufzte erleichtert auf. »Jetzt können wir uns ausruhen. Aber leider wird der Rückweg noch weitaus anstrengender: Gegenwind und Ladung.« Er deutete mit einem Rucken des Kinns auf das Floß. Amber nickte beklommen und ließ den Blick über das Wasser schweifen. In ihrer Fantasie wanden sich unter ihr Mähnenschlangen durch leere Kajüten, die Naj betrachteten die Silhouette des kleinen Bootes über sich und die zweiköpfigen Aaldrachen, die Amber auf dem Fischmarkt gesehen hatte, wetzten ihre Fangzähne. Alle Schauergeschichten über die Seeungeheuer fielen ihr wieder ein. Und wie zum Hohn durchschnitt für einen erschreckenden Moment eine graue Flosse die Wasseroberfläche und verschwand sofort wieder.
    »Was ist?«, fragte Sabin. »Du siehst aus, als hättest du einen blutsaugenden Meerengel gesehen.«
    »Da… war etwas«, flüsterte Amber. »Vielleicht… ein Hai?«
    Sabin lachte trocken. »Die Haie sind das Harmloseste hier.« Sie zog ein Band mit zwei geschliffenen Kristallschalen aus dem Gürtel und band es sich um den Kopf. Amber staunte,
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