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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters
Autoren: Laura Joh Rowland
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hielt. Die Gesichter der Besatzungen verrieten die Anspannung von Männern, die man auf eine Mission geschickt hatte, bei der es um Leben und Tod ging.
    »Da stimmt etwas nicht«, meinte der Kapitän.
    Das Segelschiff näherte sich derweil dem Hafen von Nagasaki; die Gebäude der Stadt bildeten einen unregelmäßigen Halbmond um die Hafenbucht. Ein Gewirr aus Stroh- und Ziegeldächern bedeckte die steilen Hügelflanken; gewundene Straßen und Gassen führten durch dieses Labyrinth hindurch, und die drei Flüsse, die durch die Stadt strömten, mündeten ins Meer. Weiter oben an den Hügelhängen standen die rot angestrichenen Pagoden sowie die Tempel- und Wachtürme. Im Hafenviertel umkreisten Patrouillenboote die vor Anker liegenden Schiffe oder trieben Fischerboote mit Gewalt zu ihren Anlegestellen. Sano konnte den Grund für diesen Aufruhr nicht erkennen. Fand hier so etwas wie eine militärische Übung statt? Oder eine Übung für den Fall einer Naturkatastrophe? Dann aber näherte sich eine weitere Schaluppe dem Segler und ging längsseits.
    »Na endlich!«, schimpfte der Kapitän.
    Der Deckoffizier des Patrouillenbootes rief zurück: »Verzeiht den verspäteten Empfang, aber in der Stadt gibt es ziemlichen Ärger. Der Leiter der holländischen Faktorei auf der Insel Deshima ist verschwunden. Die Barbaren von der Ostindischen Kompanie nennen ihn ›Direktor‹.«
    Sano, der sich zum Kapitän und zur Mannschaft an Deck gesellte, hörte erstauntes Murmeln. Neben ihm flüsterte Hirata: »Warum ist das Verschwinden dieses Direktors ein solches Problem?«
    »Weil in Nagasaki jeder Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften sämtliche Verantwortlichen das Leben kostet«, gab Sano ebenso leise zurück. Nun kannte er den Grund für den rätselhaften Aufruhr, den er beobachtet hatte. »Dieser verschwundene Barbar könnte die Bevölkerung zu Streitigkeiten und Kriegen aufhetzen – oder in Japan gar das Christentum verbreiten.«
    Die erste Bedrohung hatte unmittelbar mit der zweiten zu tun. Der christliche Glaube war ungefähr hundertfünfzig Jahre zuvor von jesuitischen Missionaren, die auf portugiesischen Handelsschiffen nach Japan gekommen waren, zuerst auf der Ostinsel Kyûshû verbreitet worden. Eine Zeit lang hatte der fremde Glaube sich ungestört im Land ausbreiten können; besonders bei den Armen, den Bauern und Arbeitern war das Christentum seines Versprechens auf Erlösung wegen auf fruchtbaren Boden gefallen, doch auch viele daimyo – reiche Samurai-Kriegsherrn und Großgrundbesitzer – waren zu dem fremden Glauben übergetreten, allerdings nur, weil sie auf diese Weise das Vertrauen der Portugiesen zu erlangen hofften, mit denen sich einträgliche Geschäfte machen ließen. Nach fünfzig Jahren hatte das Christentum in Japan etwa dreihundertfünfzigtausend Anhänger.
    Später jedoch führte die fremde Religion zu ernsten Problemen für die Japaner. Zum Christentum übergetretene Bauern zerstörten buddhistische und shintoistische Tempel und entfachten Aufstände in der Bevölkerung. Missionare versorgten christliche daimyo mit Waffen, um im gemeinsamen Kampf die Regierung zu stürzen. Aus Übersee kamen Nachrichten von christlichen Kreuzzügen gegen die Moslems, von portugiesischen und spanischen Eroberungen in Ostindien und in der Neuen Welt und von Plänen des Papstes, die Länder nicht-christlicher Herrscher mit Waffengewalt zu unterwerfen. Schließlich hatte Ieyasu, der erste Tokugawa-Shogun, eine Verordnung erlassen, mit der er das Christentum aus Japan verbannte und befahl, die Missionare aus dem Land zu verjagen. In den fünfundsiebzig Jahren, die seither vergangen waren, hatte der bakufu den gefährlichen fremdländischen Glauben erbarmungslos bekämpft. Und nun hatte das Verschwinden eines einzigen Holländers die Bedrohung des nationalen Friedens und der Unabhängigkeit wieder aufflammen lassen.
    »Folgt unserem Schiff«, sagte der Offizier der Hafenpatrouille zum Kapitän des Seglers. »Wir bringen Euch sicher zur Anlegestelle.«
    Das Segelschiff folgte der Schaluppe. Das Durcheinander wurde schlimmer, je näher sie der Stadt kamen. Von Patrouillenbooten gingen Soldaten an Bord chinesischer Dschunken – prachtvolle Schiffe mit mächtigen Segeln, die wie riesige Insektenflügel aussahen – und kleiner Holzkähne, die mit dunkelhäutigen Seeleuten von Inseln im stillen Ozean bemannt waren, um nach dem verschwundenen holländischen Barbaren zu suchen, was von lautstarken Protesten in den
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