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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne.
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Er beschloß zu fasten, wie er es gewohnt war, wenn ihm harte Dinge bevorstanden. Er las im Livius die Schilderung der Gefangenen, die unters Joch geschickt wurden: zwei Lanzen in die Erde gesteckt, eine dritte darüber, so niedrig, daß der Gefangene, der sie durchschreitet, sich tief beugen muß. Unters Joch geschickt zu werden schien den Römern das Schimpflichste, was einem Menschen angetan werden konnte, und die seltenen Male, da Römer unters Joch geschickt worden waren, brannten noch in den Herzen der Heutigen als Merktage tiefster Schmach. Aber er ist kein Römer, und vor der Vernunft, vor Gott wird die »Ehre« eines Menschen mit anderm Maß gemessen als auf dem römischen Forum.
      Das sind schöne Erwägungen hier an seinem Schreibtisch. Aber wenn er, übermorgen, vor dem Triumphbogen, vor dem Joch der Schmach stehen wird, dann wird er die Zähne verdammt fest aufeinander beißen müssen. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß ihm schwere Dinge leichter fielen, wenn er ihre Bitterkeit vorher in seiner Phantasie ganz ausgeschmeckt hatte, und er malte sich in starken Farben das Bild seiner Demütigung: das Pfeifen und Lachen der Römer, den Haß und die wilde Verachtung der Juden. Denn unter den Juden werden nur wenige sein, die ihn verstehen, und selbst die werden, aus guter Politik, ihn nicht schützen.
      Er saß vor seinem Schreibtisch, reglos. Er spürte nicht das Nagen des Hungers; viel schlimmer, körperhaft geradezu, wühlte in ihm die Vorstellung, wie verhaßt und wie verachtet er sein wird. Er kannte sie, die eisige Verachtung seiner Juden, und Verachtung dringt selbst durch den Panzer einer Schildkröte.
      Er hat damals den Triumph des Titus nach dem Krieg mit angesehen, als einziger Jude er. Er hat die Führer des Aufstands, Simon Bar Giora und Johann von Gischala, an sich vorbeigehen sehen, gefesselt, zum Tod bestimmt, mit einer Krone aus Brennesseln und dürren Reisern den einen, den andern in einer komischen, blechernen Rüstung. Er entsann sich genau der pressenden, würgenden Furcht, die ihn damals angefallen, sie möchten herschauen. Er hat viel Übles erlebt, Hunger und letzten Durst, Geißelung, jede Art Schmach, und wie oft ist er vor dem Tod gestanden. Aber das war das Schlimmste, was er durchgemacht hat; das war nicht mehr menschlich. Soll er das jetzt ein zweites Mal über sich ergehen lassen?
      Damals hat er einen guten innern Halt gehabt: er war der Geschichtsschreiber, er mußte sehen, er mußte dabeisein, es war seine Pflicht, zu sehen. Sind seine Gründe von heut weniger stark? Nein, im Gegenteil: seine Überzeugung steht fester. Die Rücksicht auf das Wohl der Gesamtheit und auf sein eigenes verlangt, daß er sich beugt. Die Vernunft verlangt es, und der Vernunft zu dienen, ist er da. Er gäbe, beugte er sich nicht, den Sinn seines ganzen Lebens preis, alles dessen, was er bisher getan, geschrieben, durchgemacht hat.
      Mit der flachen Hand streicht er durch die Luft, streicht er alle Zweifel fort. Sein Entschluß steht fest, es ist ein guter Entschluß, der einzig mögliche. Und nun wird er nicht länger an diese widerwärtige Sache denken. Er holt sein Manuskript hervor. Arbeitet.
      Eine halbe Stunde lang, dreißig volle Minuten, gelingt ihm das. Dann, sosehr er sich dagegen sträubt, steigen lockende Bilder in ihm hoch, wie es wäre, wenn er sich weigerte, dem Befehl des Kaisers trotzte, sich nicht beugte, finster und groß abseits stünde. Süß und herrlich wäre das, denkt er. Die Brust würde mir weit wie damals, als ich an der Spitze der Aufständischen einherritt auf dem Pferde Pfeil, das Banner voran mit der Inschrift Makkabi. Welch eine Seligkeit, das noch einmal zu spüren. Was immer dann geschieht, dieses Glück wäre des Schlimmsten wert gewesen. Und für immer dann wird die Geschichte der Juden von Josef Ben Matthias sprechen, dem Märtyrer, und der Geschichtsschreiber Flavius Josephus hätte keinen Nachteil davon.
      Domitian selber, auch wenn er mich exekutieren läßt, wird nicht umhinkönnen, mich zu bewundern. Und unter den Juden werden selbst diejenigen, die meine Tat mißbilligen, Alexas, Cajus Barzaarone, der Großdoktor, meiner voll Achtung geden ken. Für den Bruchteil eines Augenblicks freilich taucht ein braungelbes, hageres, bitteres Gesicht vor ihm auf, keineswegs voll Achtung, aber das heißt er schnell zurück in den Schatten gleiten. Um so länger verweilt er bei Phineas. Wie wird der, wenn er von meiner Tat hört, verwirrt sein, er
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